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Faszination Körper oder faschistische Ästhetik? - Teil II
In Teil I des Artikels
»Faszination Körper oder faschistische Ästhetik«
hatten wir das Lebenswerk der Naziikone Leni Riefenstahl und ihre Verklärung durch Radikalfeministin
Alice Schwarzer zu einem Idol der Frauenbewegung kritisch beleuchtet. In Teil II wollen wir das Lebenswerk
des bedeutendsten zeitgenössischen Mode- und Portraitfotografen Helmut Newton (vgl. [1]) und seine
Ächtung als Sexist, Rassist und Faschist durch Schwarzer [2] näher betrachten.
Helmut Newton – ›A Gun For Hire‹
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Links: Newton während der Arbeit am Fotoset (David Hurn/Magnum).
Er erreichte in den 1960er Jahren nicht nur sein früh gestecktes Lebensziel, Fotograf für
die französische Vogue zu werden, sondern wurde später auch zum weltweit
umschwärmtesten und teuersten Mode-, Werbe- und Portraitfotografen des 20. Jahrhunderts.
Rechts: Newton vor seinen großformatigen ebenso üppigen wie
erotischen »Big Nudes« (DPA). Er gilt als Vorreiter der Pornographisierung
der Modefotografie und bedeutendster zeitgenössischer Fotokünstler.
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Das Leben von Helmut Newton (1920 – 2004) ist einfacher darzustellen als das von
Leni Riefenstahl. Nicht, dass es weniger aufregend gewesen wäre, aber es ist weniger
umstritten. Newton hat um seiner Karriere Willen, kein Bündnis mit einem Terrorregime
geschlossen, sondern er musste davor fliehen. Er hat sein künstlerisches Talent dazu benutzt,
die Titelblätter von Modemagazinen zu revolutionieren und nicht, um damit die Propagandamaschenerie
einer faschistischen Diktatur zu perfektionieren. Newton wird als Sohn des wohlhabenden
jüdischen Knopffabrikanten Max Neustädter und seiner Frau Klara in Berlin-Schönberg
geboren. Schon früh interessiert er sich fürs weibliche Geschlecht, sei es für seine Mutter,
die er als den begehrenswertesten Menschen bezeichnet, den es je gab, sein Dienstmädchen,
das er beim Ankleiden beobachtet, Mädchen, mit denen er stille Post spielt oder berüchtigte
Prostituierte in den Straßen von Berlin. Kurz: Bereits im Vorschulalter hat er eine ausgeprägte
sexuelle Phantasie und es auf eine ansehnliche Zahl von Erektionen gebracht. Von seiner Mutter
wird er verhätschelt, denn sie machte mit Samtanzug, Pagenschnitt und Schleifen einen hübschen
und weinerlich verzogenen Fratz aus ihm. Als er zwölf wird, ergreift sein Vater die Initiative
und versucht, ihn zu einem richtigen Mann zu erziehen. Er lässt ihm die Haare kurz schneiden
und meldet ihn, da er zu keiner anderen sportlichen Aktivität taugt, beim Schwimmunterricht an.
Wider erwarten wird Schwimmen zu seiner Leidenschaft, natürlich auch, weil es im Verein ansehnliche
Mädchen gab.
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Links: Newton (1927) als verhätschelter Siebenjähriger. Seine Mutter
hatte mit Anzügen, kurzen Hosen, weißen Strümpfen, Taftschleifen und Pagenschnitt einen hübschen
und weinerlich verzogenen Fratz aus ihm gemacht. Rechts: Newton (1936)
als 15-Jähriger mit Freundinnen im Berliner Strandbad Halensee. Sein Vater hatte ihn mit 12 Jahren
zum Schwimmunterricht angemeldet. Schwimmen wird zu seiner Leidenschaft, wie man sieht, auch
der Mädchen wegen.
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Neben Schwimmen und Sex bzw. den Gedanken daran, gibt es für ihn nur noch eine weitere Leidenschaft
nämlich Fotografieren. Schon mit zwölf Jahren kauft er sich von seinem Taschengeld seine erste Kamera.
Und er genießt es, die Mädchen in ihren enganliegenden dünnen Badeanzügen aus schlecht trocknenden
Wollstoffen zu fotografieren. Von der Schule hält er nicht viel, weil er sich lieber mit seinen
Leidenschaften beschäftigt. Als die Nürnberger Rassengesetze 1935 die Trennung der jüdischen
von den »arischen« Schülern verlangen, schickt sein Vater ihn auf die Amerikanische Schule
von Berlin. Auch dort ist er so ein schlechter Schüler, dass er fast als erster Schüler von dieser
bezahlten Privatschule geflogen wäre. Mit 16 kann er seine Eltern überzeugen, dass es besser ist,
die Schule zu verlassen und bei der bekannten Modefotografin und Künstlerin Yva (Else Simon)
eine Fotolehre zu beginnen. Er verliebt sich unsterblich in sie [1]: »Ich verehrte den Boden, auf dem sie ging.«
Sie erkennt sein Talent und prophezeit ihm [3]: »Helmut, you will be a good photographer«.
Da Yva viele Modejournale abonniert hat, keimt bei ihm erstmals der Wunsch auf,
Fotograf für die renommierte Vogue zu werden. Dieser Wunsch wird sein ganz späteres
Leben bestimmen, doch erst einmal wird ihm klar, dass es für ihn als Jude kein normales Leben
in Berlin geben würde. Während er sich am Wannseestrand mit Mädchen in ihren nassen Badeanzügen
amüsiert, denken sich die Nazis in einer Villa auf der gegenüberliegenden Seite die Endlösung
aus. Als es im November 1938 zu den Reichskristallnacht-Pogromen kommt, begreift dies endlich
auch sein Vater, der nach Berlin-Oranienburg in ein KZ verschleppt wird. Er selber wird auch
gesucht und muss für zwei Wochen in den Untergrund abtauchen.
In dieser gefährlichen Situation beweist seine Mutter, die ansonsten eine ziemlich launenhafte
und hysterische Person war, Umsicht und Tatkraft. Sie schafft es nicht nur, ihren gebrochenen
Mann nach Haus zu holen, sondern auch Ausreisevisa für die Familie zu besorgen. Da die
Immigrationsquoten für Amerika und England erschöpft sind, bleibt für Newton nur der
Weg nach China. Im Dezember 1938, kurz nachdem er 18 Jahre alt geworden ist, fährt er, nur mit
dem Nötigsten und zwei Kameras im Gepäck, ziemlich verängstigt und mutterseelenallein vom
Bahnhof Zoo mit dem Zug nach Triest. Von dort geht die Fahrt zusammen mit vielen anderen jüdischen
Emigranten in einem Passagierdampfer weiter nach Shanghai in eine ungewisse Zukunft. Solange er
auf dem Schiff ist, kann er sich noch in Sicherheit wiegen. Er macht sich das Leben so angenehm
wie möglich und vögelt sich mit verheirateten Frauen, die für ihn Sexappeal und Glamour besaßen,
durchs Mittelmeer und den Suezkanal. Auf einem Zwischenstopp in Singapur hat er das Glück, zu
wenigen Passagieren zu gehören, die eine Aufenthaltserlaubnis für die englische Kolonie bekommen.
Er findet eine Anstellung als Bildreporter für die Gesellschaftsspalten der Tageszeitung »Straits Times«.
Er stellt sich jedoch ungeschickt an und wird nach zwei Wochen wegen Unfähigkeit entlassen. Er steht
ohne einen Penny auf der Straße und muss sich von Abfällen ernähren. Weil keine Rückkehr möglich ist,
bleibt nur noch seine zweite Leidenschaft »Frauen«. Wieder hat er Glück, weil eine erfolgreiche
belgische Geschäftsfrau auf ihn aufmerksam wird. Sie ist fast doppelt so alt wie er und macht ihn,
da er charmant und potent ist, zu ihrem Gigolo.1) Er gründet ein kleines Fotostudio und
kann sich später nicht erinnern, mehr als einen Kunden pro Tag gehabt zu haben.
Als die Japaner näher rücken und in den Krieg eintreten, ändert sich die Situation schlagartig.
Er wird zum feindlichen Ausländer auf englischem Territorium und 1940 zusammen mit anderen
deutschen Juden in einem Camp in Australien interniert. Dort wird er einem Trupp zugeteilt, der
die Latrinen säubern muss. Doch schlimmer ist, dass nun erstmals sexueller Entzug angesagt ist,
denn Männer und Frauen wurden durch Stacheldraht getrennt interniert. Nach anderthalb Jahren wird
er aus dem Lager entlassen und zur Unterstützung der australischen Kriegswirtschaft als Helfer bei
der Obsternte eingesetzt. Keine angenehme Arbeit, denn in den Bäumen klettern riesige Spinnen und
am Boden kriechen giftige Schlangen herum. 1942 bekommt er die Gelegenheit, als Freiwilliger in die
australische Armee einzutreten. Er bezieht Quartier in einem Armeelager am Stadtrand von Melbourne.
Da man keine richtige Verwendung für ihn hat, nutzt er die Nähe zum Stadtzentrum, um sich mit den
einheimischen Mädels buchstäblich um Sinn und Verstand zu vögeln, schließlich gibt es nach dem
Internierungslager einiges nachzuholen. Später wird er nach Norden verlegt, der als potenzieller
Kriegsschauplatz galt, wenn die Japaner angriffen. Er arbeitet als Fahrer und wird als Verladearbeiter
bei der Eisenbahn eingesetzt. Immer bleibt jedoch genügend Zeit, um Krankenschwestern oder
Fabrikarbeiterinnen zu vernaschen. Ohne Frage hat sich Newton während seiner gesamten
Zeit als Soldat, mehr um die sexuelle Erfüllung der Damen an der Heimatfront als um die Sicherheit
Australiens verdient gemacht. Er war wie er selbst später betont ein Frauen- und kein Kriegsheld!
1946 wird er aus der Armee entlassen. Er bekommt die australische Staatsbürgerschaft angeboten
und lässt seinen Geburtsnamen Neustädter in Newton ändern, weil der besser zu seinem persönlichen
Ziel passt, ein berühmter Fotograf zu werden. Er gründet in Melbourne ein klitzekleines Fotostudio
und kauft sich von den 100 Dollar Entlassungssold sein Traumauto, einen Ford V 8, statt ihn in die
Ausstattung seines Studios zu investieren. 1947 lernt er die Schauspielerin June Browne kennen,
die nebenbei als Model arbeiten möchte. Er verliebt sich sofort in sie und für sie ist es im
beschaulichen Australien der erste ›Mann von Welt‹, den sie kennenlernt. Ein Jahr später
beschließen sie zu heiraten, obwohl er schon mit einer anderen Frau verlobt ist. Auch für June
keine einfache Entscheidung, denn er warnt sie [4]: »Photography will always be my first love,
but you will be my second.« Im Klartext hieß dies, falls für seine Karriere erforderlich,
muss sie ihren Beruf als Schauspielerin aufgeben, der ihr sehr am Herzen lag und in dem sie
damals erfolgreicher als er war. Warum er sie heiratet, bleibt unklar. Später sagte er, bei den
anderen wäre es immer nur um das eine gegangen und bei ihr sei es eine ganz andere Dimension.
Vermutlich hatte er sich aber genug durch die Welt ›gerammelt‹ und in June eine
künstlerisch begabte Frau gefunden, mit der glaubt, seine beruflichen Ziele verwirklichen zu können.
Der Vater seiner Verlobten hatte ihm zuvor angeboten, später einmal seine Firma zu übernehmen.
Für ihn war das eine Drohung, denn genau davor hatten ihn die Nazis – wenn auch unbeabsichtigt – im
Fall der Firma seines Vaters bewahrt. Junes Mutter war von der Heirat gar nicht begeistert,
vor allem weil sie sich nicht vorstellen konnte, dass man Fotografieren Geld verdienen kann.
Und sie hat Recht, denn das Geschäft mit Porträtaufnahmen und Hochzeitfotos lief sehr schleppend an.
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Links: June als Schauspielerin in der Rolle der »Heiligen Johanna« (1953).
Rechts: Hochzeitsfoto von June und Helmut Newton (1948).
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Bald bekommt er Angebote, Schaufensterauslagen für Kaufhäuser oder Kleidung und Einrichtungsgegenstände
für Magazine zu fotografieren. 1950 findet seine erste Foto-Ausstellung an der Universität von Melbourne
statt. 1953 kooperiert er mit anderen Fotografen und ändert den Namen seines Studios in »Helmut Newton und Henry Talbot«.
1956 liefert er erste Beiträge für die australische Ausgabe der Vogue und reist noch im gleichen Jahr
mit June nach Europa, weil man als Modefotograf nur dort oder in New York Karriere machen
kann. Er kauft sich einen nagelneuen Porsche mit roten Ledersitzen und braust damit durch Europa,
obwohl er kaum die Hotelmieten bezahlen kann. Er bekommt einen einjährigen Vertrag als freier Mitarbeiter
bei der britischen Ausgabe der Vogue. Doch die Euphorie hält nicht lange an, seine Wohnung
ist entsetzlich, die Arbeitsbedingungen sind niederschmetternd und seine Bilder sind schrecklich.
Noch vor Ende des Vertrags verlässt er das verhasste London und fliegt nach Paris, um dort für
französische Magazine zu arbeiten. Später sagt er [1]: »Ich lernte alles von diesen Französinnen,
den jungen wie den alten.« Für ihn als Fotographen ist jede kleinste Einzelheit des Pariser Lebens
unglaublich anregend und es kommt ihm vor, als spiele er in einem Film mit. Am helllichten Tag kann
er durch Straßen mit zwei- bis dreihundert Prostituierten gehen, davon jede zweite begehrenswert,
wie er betont. Und dazwischen gehen Mütter mit ihren Kindern zum Einkaufen, ohne sich an dem sündigen
Treiben zu stören. Das ›angeborene‹ Gefühl der Huren, sich modisch zu kleiden und damit auf
ihre Spezialitäten hinzuweisen, ist für ihn inspirierend.
1959 bekommt er ein Angebot, für die Modezeitschrift Jardin des Modes zu arbeiten, das
damals revolutionärste Modejournal in Europa. Darüber hinaus arbeitet er in Berlin für die Zeitschrift
Constanze, um sich das Leben in Paris leisten zu können. Er sucht die Stätten seiner Kindheit
auf, natürlich auch die anrüchigen. Es irritiert, dass er schon kurz nach Kriegsende als Jude keinerlei
Animositäten gegen die Deutschen hat. Später bemerkt er [5]: »Ich werde nie vergessen und nie vergeben,
aber ich finde die Deutschen sind die Einzigen, die sich ernsthaft mit ihrer Vergangenheit konfrontieren.«2)
Er führt ein schönes Leben, aber er verdient nicht genug. 1959 geht er nach Australien zurück, um für
die dortige Ausgabe der Vogue zu arbeiten. June ist entsetzt und er muss ihr versprechen,
nach spätestens zwei Jahren, wenn er etwas Geld verdient hätte, wieder mit ihr nach Europa zu gehen.
1961 siedelt trotz gut laufender Geschäfte und Warnungen seiner Auftraggeber wieder nach Paris über.
Er arbeitet Vollzeit für die französische Vogue und liefert Beiträge für andere Modejournale.
1963 produziert er einen (politischen) Skandal, als er an der Berliner Mauer vor Stacheldraht und
Brandenburger Tor, Modells in Unterwäsche fotografiert hat. Ein Bild zeigt (versehentlich) auch
Gedenktafel und Kreuz von Peter Fechter, der ersten Person, die bei der Flucht über die Mauer
getötet wurde. Die Empörung im Westen ist groß, seine Berliner Freunde nennen ihn nur
noch »Mauer-Helmut«. 1964 wird er bei der französischen Vogue gefeuert, weil er
sich weigert, Informationen über die Frühjahrskollektion preiszugeben, die er für das Modejournal Queen
fotografiert hat. Ab 1966 arbeitet er wieder für die Vogue und bleibt dort bis 1981.
Rückblickend sagt er [1]: »Die Sechziger Jahre waren für alle Fotografen eine Zeit des
Geldverdienens. Die Wirtschaft boomt, es gab viel Arbeit, und die Honorare wurden allmählich
interessant.«3)
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Links: 1976 erscheint Newtons erster Bildband »White Women«. Newton kommentiert
später [1]: »June dachte sich den wunderbaren Titel aus, doch kaum war er ihr eingefallen, bekam sie es mit
der Angst zu tun und sagte: ›Als Jude kannst du deinem Buch doch nicht einen so rassischtischen Titel geben.‹ Ich
sagte: ›Quatsch, das hat doch nichts mit Rassismus zu tun, es ist ein toller Titel. Außerdem ist keine einzige
schwarze Frau in dem Buch«. Das Buch machte Furore und in seinem Zusammenhang wurde der Begriff »Porno-Schick«
geprägt. Rechts: June Newton war nicht nur die Frau von Helmut Newton, sondern
wurde in den 1970er Jahren für ihre aufregenden Modefotos und Künstlerporträts (hier ein Foto für das Modemagazin
»Fashion – Depeche Mode«, Paris 1971) berühmt. Unter dem Pseudonym Alice Springs hat sie seit dem
ein eigenständiges fotografisches Oeuvre als Akt-, Mode- und Portraitfotografin geschaffen.
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Auch seine künstlerische Karriere gerät in Schwung. Bild für Bild gelingt es ihm, Modefotografien zu veröffentlichen,
die immer sexyer sind. Die Warnungen der alten Chefredakteurgarde vor seinen übermäßig erotischen Bildern und ihren
sadomasochistischen Elementen verpuffen mehr und mehr ins Leere. Da er ohne Stipendien oder irgendwelche Zuwendungen
auskommen muss, nutzt er die Ressourcen seiner Auftraggeber, um seinen künstlerischen Vorstellungen zu verwirklichen.
Bei jedem größeren Fototermin zweigt er ein paar Stunden für seine persönlichen Aufnahmen ab und baut sich so ein
privates Archiv auf. Die Models entschädigt er mit einer signierten Kopie. 1975 beginnt seine Ausstellungstätigkeit
mit einer Einzelausstellung in der Nikon Galerie in Paris. 1976 erscheint sein erster Bildband »White Women«,
1978 folgt sein zweiter »Sleepless Nights«. Die Kombination von Nacktheit und Mode empört die Öffentlichkeit
und revolutioniert die Modefotografie. Sein dritter Bildband »Big Nudes« (1981) verschafft Newton
dann den Durchbruch zum fotografischen Olymp. Hier steht nicht mehr die Mode im Mittelpunkt, die für Newton
schon in den ersten beiden Bänden oftmals nur ein Vorwand zu sein scheint. Im Bildband »Big Nudes« werden
selbstbewusste, starke, schöne Frauen ohne modisches Beiwerk nackt oder oft nur mit High Heels4) bekleidet,
herausfordernd dargestellt [6]: »Newton inszeniert Wünsche und Träume. Theaterstücke für den Kopf (…); seine Frauen
sind Weiber, keine Weibchen, die Männer am liebsten Statisten.« Newton selbst hat über seine großen
Nackten, die in unwiderstehlicher Form auf den Betrachter zu marschieren, gesagt [7]: »Der weibliche Akt, das
bin ich.« oder »Sie beschützen mich!« Eine Botschaft möchte Newton mit seinen Bildern aber
nicht vermitteln: Sein Motiv sei reiner Voyeurismus oder auch gnadenlose Neugier.
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Links: Helmut Newton und seine Frau June, mit der er bis zu seinem
Tode 2004 glücklich verheiratet ist. Freunde bezeichneten seine Ehe als »große Liebesaffäre«.
Ihr Geheimnis liege laut Newton in dem gegenseitigen Respekt, den sie sich in über 50 Jahren
Ehe bewahrt haben. Und der bestünde auch darin, dass man sich nicht hinterher schnüffelt! Die immer
wieder von der Presse gestellte Frage, ob seine Frau angesichts seiner vielen Kontakte mit attraktiven
nackten Frauen nicht eifersüchtig sei, kommentierte er damit, dass er seine Modelle ›wie ein Bauer seine
Kartoffeln‹ betrachte. Rechts: Das Bild zeigt Newton, der zwei Models
in einem großen Wandspiegel fotografiert. Daneben sitzt seine Frau June, die das Shooting mit
stoischem Blick begleitet (1981). Dieses in seiner Bedeutungstiefe vielfach überinterpretierte
Selbstportrait mit Model und Frau hat triviale Entstehungsbedingungen. June war zu früh zu
einem verabredeten Lunch gekommen und hatte sich auf einen Stuhl gesetzt. Davon abgesehen, arbeitete
Newton eng mit seiner Frau zusammen. Sie stand ihm anfangs Modell und war später seine
künstlerische Beraterin und Kraftquelle.
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Mit der Veröffentlichung seiner Bildbände steigt die Nachfrage der internationalen Magazine nach seinen
Bildern und er macht etliche erfolgreiche Fotoausstellungen. Sein Erfolg spiegelt sich auch in der
Verlegung seines Wohnsitzes von Paris nach Monaco Anfang der 1980er Jahre wider. Er selber kommentiert [1]:
»Im Jahre 1981 wurde ich einundsechzig. Ich hatte über zwanzig Jahre in Paris gelebt, und ich liebte
diese Stadt. Ich arbeitete auch gern für die französische Vogue, ich fotografierte die Stadt, jede
Straßenecke, die verschwiegenen Parks, und die äußeren Vororte (…) Aber jetzt wollte ich endlich dem
allgegenwärtigen Fiskus entgehen, der siebzig Prozent Einkommensteuer verlangte, ganz zu schweigen
von den vielen indirekten Steuer, mit denen wir in Frankreich belastet waren, und von dem Wetter, das
im Lauf der Jahre anscheinend im grauer und regnerischer wurde. Ich kann den kalten grauen Himmel nicht
ausstehen. Also beschlossen wir, nach Monte Carlo zu übersiedeln, wo die Sonne schien und man keine
Steuern zu zahlen brauchte.« Als Fotograf erhält Newton in den folgenden Jahren zahllose
internationale Auszeichnungen, wie den »Grand prix national de la ville de Paris« und
den »World Image Award«. 1992 erhält er das Große Bundesverdienstkreuz, das er auf Anraten
seines Freundes Billy Wilder annimmt. Anlässlich seines 80. Geburtstages wird 2000 in der
Neuen Nationalgalerie in Berlin eine große Retrospektive zu Ehren des Meisters der Aktfotografie
gezeigt. 2003 schließt er mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz einen Vertrag über die Gründung
einer Helmut Newton Stiftung. Wichtigster Bestandteil des Vertrages ist die Bereitstellung
des Landwehr-Kasinos für eine Dauerausstellung von seinem Werk. Damit schließt sich sein
Lebenskreis, denn es war das letzte prachtvolle wilhelminische Gebäude, das er 1938 bei seiner Flucht
vom Bahnhof Zoo aus sah. Im Januar 2004 kommt der autobegeisterte Starfotograf, nachdem er
auf dem Sunset Boulevard in seinem ›Winterquartier‹ in Los Angeles (vermutlich wegen
eines Herzinfarktes) die Kontrolle über einem silberfarbenen Cadillac verloren hatte, ›standesgemäß‹ ums
Leben. Das Stiftungsgebäude wird posthum im Juni des gleichen Jahres durch seine Frau June eröffnet.
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Helmut Newton macht keinen Hehl daraus, dass er keine tiefere Botschaft mit seinen
Bildern vermitteln möchte. Sein Motiv sei reiner (verspielter) Voyeurismus oder auch gnadenlose
Neugier. Im der Mitte der Illustration ist seine Frau June zu sehen, mit der er über 55 Jahre
glücklich verheiratet war. Ursprünglich war sie eine erfolgreiche Schauspielerin und wurde
dann später ebenfalls eine bekannte Fotokünstlerin.
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Alice Schwarzer bezeichnet das Werk des Fotokünstlers Newton als sexistisch-rassistisch-faschistoid
Alice Schwarzers Begeisterung für die Nazi-Ikone Leni Riefenstahl kontrastiert mit ihrer
Abneigung gegen den deutsch-jüdischen Fotokünstler Helmut Newton, der 1938 vor den Nazis ins Exil
flüchtete.5) In ihrem Emma-Artikel »Helmut Newton: Kunst oder faschistoide Propaganda?« [2]
bezeichnet sie Newton als »Hohen Priester der Pornographie«, der seine »sado-masochistischen Phantasmen«,
die eigentlich ein »Fall für den Analytiker« wären, erfolgreich vermarkten würde. Sie wirft Newton vor,
das »Herrenmenschentum« mit ins Exil genommen und sich von der Opfer- auf die Täterseite geschlagen
zu haben. Seine Bilder seien sexistisch, rassistisch und faschistisch und Jahr für Jahr habe er höher
dosiertes »Propagandamaterial für den Geschlechterkrieg« geliefert. Doch damit nicht genug,
sie versteigt sich sogar in die Behauptung, dass sein Durchbruch Mitte der 1970er Jahre eng mit
dem »Aufbruch der Frauen« verknüpft sei und ohne die Frauenbewegung (also im Prinzip Alice Schwarzer
als deren erklärte Gallionsfigur höchstselbst!) nicht denkbar gewesen wäre.
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Links: »Sie kommen« aus dem Bildband »Big Nudes« (1981).
Newtons Models strahlen keine Verletzlichkeit und Schutzlosigkeit aus, sondern sie
erscheinen übergroß entrückt, fast außerirdisch im glänzenden Harnisch ihrer Nacktheit [8].
Newton hat sich deshalb immer wieder gegen den Vorwurf gewehrt, ein Frauenfeind zu
sein: Er stelle Frauen als starke Charaktere dar, nicht als Opfer. Zudem hat er stets betont,
dass alle seine Bilder der Realität entstammen und keine Fiktionen sind. Für seine »Big Nudes«
hat ihn z. B. ein Zeitungsfoto inspiriert, auf dem das Büro einer Antiterror-Spezialeinheit der
deutschen Polizei abgebildet war. An den Wänden hingen lebensgroße ganzfigurige Fotos der gesuchten
Männer und Frauen. Rechts: »Two Pairs of Legs in Black Stockings« (1979).
Tatsächlich wirken die korrekt gekleideten, mit dicken Brieftaschen ausgestatteten Männer, die
öfters im Hintergrund seiner Bilder zu sehen sind, gegenüber den halbnackten und oft mit
SM-Utensilien ausgerüsteten, hochgewachsenen, üppigen Frauen wie impotente Deppen. Ferner
trifft Silvia Bovenschen den Nagel auf den Kopf, wenn sie bemerkt, dass Newton seine
Models »klischeefreudig und medienwirksam mit dem altbekannten eindeutigen Verruchtheitsplunder bestückt« [9].
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Schwarzers Ächtung Newtons ist durchweg starker – ebenso eigennütziger wie auch ehrverletzender – Tobak.
Schauen wir uns zunächst ihre Begründung dafür an, dass Newtons Karriere mit dem Aufstieg der
Frauenbewegung verknüpft sei [2]: »Er liefert einer verunsicherten, irritierten Männerwelt den
neu geschärften Blick auf die erstarkenden Frauen. (…) »Eine schwache Frau unterwerfen – wie uninteressant.
Eine starke Frau brechen – echt scharf.« So ein Unsinn, Newton bricht keine Frauen, sondern Tabus.
Er glorifiziert kein »Herrenmenschentum«, das Frauen zu Untermenschen degradiert, »denn der ›Herrenmensch‹,
wenn das überhaupt eine angemessene Vokabel ist, wird von Newton weiblich konstruiert« [9]: »Der Gestus des
Herrischen prägt bei Newton überwiegend die Frauengestalten. Das nötigt Schwarzer zu einem wenig überzeugenden
Interpretationsmanöver: Gerade die Unterwerfung und Demütigung der starken Frau sei für den herrschsüchtigen
Mann ein ganz besonderer Triumpf. Aber selbst liegend und mit Fesseln versehen, eignet den Newton-Frauen etwas
Martialisches, gleichen sie meist eher obsiegenden Kampfmaschinen als unterworfenen Sexobjekten.«
Und wenn (ausnahmsweise) Männer auf den Fotografien abgebildet sind, gleichen sie nicht »Herrenmenschen«,
sondern wirken wie Statisten oder bestenfalls nur finanziell potente Deppen.
Newton hat auch nicht – wie Schwarzer behauptet – Jahr für Jahr höher dosiertes
»Propagandamaterial für den Geschlechterkrieg« geliefert, sondern der Erfinder des
»Porno-Schicks« hat in den 1970er und 1980er Jahren Bild für Bild die Wahrnehmungen der
Modemagazinredakteure gelockert [6]: »Orthopädisches Korsett, Liebesspiel mit Schaufensterpuppe,
gestiefelt und gesattelt – das waren Bilder die damals schockten.« Heute aber reißen diese
Tabubrüche niemand mehr vom Hocker. Als Schwarzer 1993 schweres Geschütz gegen Newton
auffuhr und mit der unautorisierten Publizierung seiner Bilder eine Klage wegen vorsätzlicher
Urheberrechtsverletzung provozierte, thronte Newton schon unangreifbar auf dem ästhetischen
Olymp. Es war folglich Schwarzer, die mit ihrer Schmähschrift versuchte, den Geschlechterkrieg
anzuheizen, um ihre PorNo-Kampagne wiederzubeleben oder um die dahin dümpelnden Verkaufszahlen oder
doch zumindest den Bekanntheitsgrad ihrer radikalfeministischen Hauspostille EMMA zu steigern.
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Links:Newton ist ein gnadenloser Voyeur, der wie ein passionierter Jäger immer auf der Pirsch
nach neuen Motiven ist. »Newtons erotische Träume kommen«, wie Silvia Bovenschen [9]
richtig bemerkt, »nicht aus der Hölle des Unbewußten« und »sie eröffnen nicht den Blick
in tiefe Abgründe [von Dekolletés... einmal absehen, G.M.], sie sind rätselfrei (…)«. Seine
Fotografien sind aber allein schon deswegen Kunst, weil sie Witz und Humor haben.
Rechts: »Saddle I« (1976) aus Newtons zweitem Bildband »Sleepless nights«.
Dass das Modell etwas entrückt wirkt, liegt weniger an dem Sattel als an ihrem Blick, der ähnlich dem
Blick einer Raubkatze ein potenzielles Opfer in der Ferne fixiert. Newton lag mit seinen
Fotografien im Trend der Zeit. Zum Pionier machte ihn, dass er viele seiner Aktfotografien nicht im
Studio, sondern auf der Straße oder feudalen Hotelzimmern aufnahm.
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In einem stern-Interview äußert sich Newton anlässlich ihrer Schmähschrift zu
Schwarzer [zitiert nach 10]: »Nein, ich kenne das Fräulein nicht. Ich habe gehört,
daß sie etwas gegen mich hat und ich habe ein Foto von ihr gesehen. Sehr hübsch sieht sie ja nicht aus«.6)
Die Literaturwissenschaftlerin und Essayistin Silvia Bovenschen bemerkt hierzu in ihrem
lesenswerten SPIEGEL-Artikel »Alice in Newton-Land« [8], dass Newton in
»mieser misogyner Tradition« spreche. Das kann frau so sehen, muss sie aber nicht, denn
ein Mann, der 1993 schon 45 Jahre mit der selben Frau verheiratet ist und auf übelste Weise von
einer unverheirateten Emanze angegriffen wird, darf es erlaubt sein, diese spöttisch als Fräulein
bezeichnen. Mit der Bemerkung, dass sie nicht sehr hübsch aussehe, deutet er wohl an, dass sie
für ihn als potenzielles Model nicht in Frage käme. Zugleich macht er damit auf ein unterschwelliges
Motiv für Schwarzers Schmähschrift aufmerksam, nämlich Neid auf attraktivere Frauen. Dabei
müssen Newtons Models nicht einmal hübsch sein, um für ihn Erotik auszustrahlen. Über
Mrs. Thatcher sagt er [1]: »Margaret Thatcher hatte mich schon immer fasziniert.
Sie war ein starke, mächtige Frau, und je mächtiger sie wurde, umso stärker wurde mein Eindruck,
dass sie sogar sexy war.« Mit dieser Sichtweise macht sich Newton sogar um die
Gleichberechtigung verdient, denn üblicherweise sind es doch Frauen, die die Attraktivität von
Männern weniger nach ihrem Aussehen, als nach ihrem beruflichen Erfolg beurteilen.
Resumee: Alice Schwarzer hat in ihrer radikalfeministischen Hauspostille EMMA
die Naziikone und Filmregisseurin Leni Riefenstahl zu einem Idol der Frauenbewegung verklärt,
während sie den jüdischen Werbe-, Mode- und Portraitfotografen Helmut Newton als Sexist, Rassist
und Faschist ächtet. Dabei hatte der Schriftsteller Glenn B. Infield die amerikanischen Feministinnen
schon 1976 beschuldigt, dass »sie auf ihrer angestrengten Suche nach bedeutenden Frauen nicht darauf
verzichten mochten, die Riefenstahl als wichtigsten weiblichen Regisseur der bisherigen Filmgeschichte
in ihr Pantheon aufzunehmen - ohne Rücksicht darauf, daß das OEuvre ihrer Heldin dem totalen
Gegenteil dessen huldigt, wofür der Feminismus einzustehen meint« [zitiert nach 11]. Ein viertel
Jahrhundert später betet die deutsche Radikalfeministin Schwarzer jede noch so dreiste Lüge
Riefenstahls bezüglich ihrer Verstrickung mit dem Nationalsozialismus nach und schadet
damit den berechtigten Anliegen der Frauenbewegung einmal mehr. Schlimmer noch, während sie Newtons
von Witz, Kunst, Ästhetik und Eleganz geprägte – und eben nicht von der Hölle des Unbewussten infizierte
Bilder – abgrundtief ächtet, übersieht sie fahrlässig die tiefen Abgründe in Riefenstahls
Bilderwelten [12]: »Die Obszönität der Riefenstahlschen Bilder, diese endlose Serie symbolischer
Erektionen, Penetrationen und Ejakulationen, all die sadomasochistischen Inspirationen und die bis zum
Exzeß sexualisierte Mise en scène will die ›PorNo‹-Aktivistin nicht einmal wahrnehmen.« Ob sich daraus
Rückschlüsse auf Schwarzers seelische Abgründe ziehen lassen, soll hier nicht weiter diskutiert
werden. Dazu gibt es sicherlich schon qualifizierte Literatur.
Epilog
Alice Schwarzer wird es nicht gerne hören oder zur Kenntnis genommen haben, aber Newton
und Riefenstahl haben sich schon ein Jahr nachdem sie Riefenstahl in ihrem Haus in
Pöcking am Starnberger See interviewt hatte, an gleicher Stelle zu einem Fotoshooting für das Magazin
Vanity Fair getroffen. Newton beschreibt in seiner Autobiografie, was dort passierte [1]:
»Als ich im Juni 2000 für unsere letzte Sitzung zu ihr nach Pöcking kam, bat sie mich an einen großen,
mit Kaffee und Kuchen gedeckten Tisch, nahm mein Hand und lies sie nicht mehr los. Und dann hielt mir die
Achtundneunzigjährige mit dem eisernen Griff einen Zeitungsausschnitt unter die Nase und sagte. ›Helmut Du
musst mir versprechen, dass Du mich nie wieder einen alten Nazis nennst, sonst darfst du mich nie wieder
fotografieren.‹ Was konnte ich machen? Da ich nun mal eine Nutte bin und nur an die Bilder dachte, die ich
an diesem Tag machen wollte, hätte ich ihr notfalls auch die Ehe versprochen. Wir begannen also mit den
Aufnahmen. Leni trug Hosen, und da ich weiß, dass sie sehr stolz auf ihre Beine ist und meint, sie seien
besser als die von Marlene Dietrich, bat ich sie einen Rock anzuziehen. Das ließ sie sich nicht zweimal
sagen. Im Handumdrehen hatte sie sich der Hosen entledigt und stand in kurzen Röcken vor mir. Wie man so
schön sagt: ›Die Beine halten sich am längsten.‹«
Da kann man nur noch fragen: Darf ein erklärtes ›Idol der Frauenbewegung‹, auf Bitten
eines ›sexistischen‹ Fotografen, ihre emanzipierten Hosen ausziehen, um vor ihm in einem
kurzen Röckchen zu posieren?
Anmerkungen
1) Sein persönliche Bilanz nach einem Jahr Singapur war verheerend: »In Singapur
hatte ich jeden professionellen Ehrgeiz verloren. Meine Laufbahn als Fotograf war mir völlig egal.
Mir wurde klar, wie weit ich von meinem Ziel entfernt war, Vogue-Fotograf zu werden. Stattdessen
war ich ein berufsmäßiger Rammler geworden.«
2) Newton hat schon Mitte der 1950er wieder Berlin besucht, aus dem die Nazis ihn vertrieben
hatten. Berlin, in dem die anrüchigen Stätten seiner Kindheit liegen, hat ihn stets mehr als Deutschland fasziniert.
In den Cafés am Kurfürstendamm konnte er noch die Stellen erkennen, wo vor dem Krieg die Schilder
»Für Hunde und Juden verboten« hingen. Die Berliner Regierung schrieb in einem Nachruf:
»Es ehrt Deutschland sehr, dass Helmut Newton, den man einst von hier vertrieb, die Hand zur
Versöhnung reichte.« In der Tat unterscheidet sich Newton angenehm von vielen seiner
Zeitgenossen, die die enormen emotionalen und finanziellen Anstrengungen der Deutschen, ihre Vergangenheit
zu bewältigen, ignorieren und den Holocaust oder die Kriegsschuld auch noch zu Beginn des dritten
Jahrtausends dazu instrumentalisieren, um aus reiner Gier monetäre Wiedergutmachung einzuklagen.
3) Nicht ganz so gut ging es den Models, die hatten zwar Klasse – wie Newton betont – verdienten
aber nur wenig und mussten sich deshalb einen ›Beschützer‹ zu legen. In der Regel war das ein reicher
verheirateter Mann, der ein Model im Gegenzug für sexuelle Dienstleistungen finanziell unterstützte,
indem er z. B. ihre Miete bezahlte.
4) Alice Schwarzer bezeichnet die obligatorischen Stöckelschuhe, die Newtons Models tragen,
in ihrer Schmähschrift [2] als das »unentbehrliche Signal weiblicher Hilflosigkeit« und fügt erläuternd hinzu:
»Diese Frau kann nicht weglaufen, nicht einmal vor Newtons Phantasien«. So ein Unsinn, Stöckelschuhe sind Signale
weiblicher Macht, in dem sie männliche Phantasien provozieren oder doch zumindest bei(n)läufig …auslösen. Das weiß wohl
jede Frau, außer Schwarzer…!
5) Schwarzer wörtlich: »Seine von ihm verehrte Fotolehrerin Yva wurde in Auschwitz ermordet.
Er selbst flüchtete rechtzeitig nach Australien«. Eine infame, die damalige komplexe Situation verkürzende Darstellung.
Schwarzer suggeriert, um Newton ins schlechte Licht zu rücken, er habe Yva in Stich gelassen
und nur seine Haut gerettet. Tatsächlich konnte der jugendliche Newton nur dank der Initiative seiner Mutter
flüchten. Demgegenüber hatte seine bekannte Fotolehrerin Yva dank ihres künstlerischen Talents sogar ein Angebot,
rechtzeitig nach Amerika zu gehen. Newton riet ihr sogar dazu, doch sie wiegelte ab [1]:
»Na, na Helmut, uns passiert schon nichts.« Eine fatale Fehleinschätzung.
6) Ferner stellt er fest [zitiert nach 10]: »Fräulein Schwarzer ist dumm. Sie wirft mir Pornographie vor
und weiß nicht, was das ist. Seit ewigen Zeiten gibt es das Thema Frau und Sex. Diese Fräuleins können sich auf den Kopf
stellen, das wird auch immer so sein. Aber je mehr sie darüber herumschreien, desto populärer wird es.«
Wer wollte dem widersprechen?!
Literatur
[1] Helmut Newton: »Autobiographie«. – München 2002
[2] Alice Schwarzer:
»Helmut Newton: Kunst oder faschistoide Propaganda?« – In: EMMA November/Dezember 1993
[3] Katja Schult:
»Helmut Newton - Ein neues Museum für Berlin« – In: Berlin.de - Das offizielle Hauptstadtportal
[4] Chris Grosz & Shane Maloney:
»Helmut Newton and Alice Springs« – In: The Monthly, September 2011
[5] Sven Michaelsen:
»Helmut Newton - Der Mann, der die Frauen kriegte« – In: stern vom 16. Oktober 2002.
[6] Lilith Frey:
»Helmut Newton – Schamvolle Vulgarität«. – In: Cicero ONLINE, Magazine für politische Kultur vom 4. Juni 2012
[7] Ingeborg Harms:
»Helmut Newton – Die nackte Frau bin ich«. – In: FAZ.NET vom 25. 01.2004
[8] Andreas Cremonini:
»Harnisch Nacktheit«. – 30. April 2010
[9] Silvia Bovenschen:
»Alice in Newton-Land – Alice Schwarzers Kampf gegen ›sexuelle Unkorrektheit‹ in Helmut Newtons Fotos«. – In: DER SPIEGEL 30/1994
[10] Katrin Baumgarten:
»Hagestolz und Alte Jungfer« – Münster 1997
[11] Wilhelm Bittorf:
»Blut und Hoden«. – In: DER SPIEGEL vom 25. Oktober 1997
[12] Kay Sokolowsky:
»Alice Schwarzer: Die neue Rechte – Mit der »EMMA«-Titelgeschichte zur Nazifilmerin Riefenstahl hat sich
Alice Schwarzer zur neuen Frauenschaftsführerin gemacht«. – In: konkret März/1999
G.M., 06.10.12
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Foto: DPA
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Die ›Vorzeigefeministin der alten Schule‹ Alice Schwarzer ist Herausgeberin und Chefredakteurin der größten
deutschsprachigen feministischen Zeitschrift EMMA. 2007 feierte EMMA das »Magazin von Frauen für Menschen (!)«
ihren 30. Geburtstag.
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