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Über das Studium der Geographie und verwandter Umweltwissenschaften

Er war Geograph und sie kannte auch keine Grenzen.

Kürzlich kam ich mit einem befreundeten Ehepaar über die berufliche Zukunft ihrer Tochter ins Gespräch, die gerade ein Geoökologiestudium begonnen hatte. Da ihnen bekannt war, dass ich Geographie der Fachrichtung Landschaftsökologie studiert hatte, fragten sie mich, ob ich ihrer Tochter nicht ein paar Tipps geben könnte. Sie schienen sich etwas zu sorgen, denn ein Dozent hatte den versammelten Studienanfängern in der Einführungsveranstaltung verkündet, dass es um ihre beruflichen Aussichten überhaupt nicht gut bestellt sei. Zudem erzählten sie mir, dass sie gerade ein gutes Buch über das Artensterben suchen würden – eine Thematik, für die sich ihre Tochter sehr interessieren würde.

Das Gespräch weckte in mir eher düstere Erinnerungen an mein eigenes Geographiestudium. Auch mir und meinen Kommilitonen war damals in der Einführungsveranstaltung prophezeit worden, dass wir einen Studiengang gewählt hätten, der uns geradezu in die Arbeitslosigkeit führen würde. Die Aussicht, nicht gebraucht zu werden, war zwar desillusionierend und demotivierend, hielt aber die wenigsten davon ab, das Studium aufzunehmen. Schließlich begeisterten sich die meisten für den Natur- und Umweltschutz und hofften, dass ein Geographiestudium der Fachrichtung Landschaftsökologie sie für ihr Engagement gegen die zunehmende Umweltzerstörung, also z. B. das Artensterben qualifizieren würde.

Aus heutiger Sicht kann das Verhalten des Dozenten nur als unverantwortlich bezeichnet werden. Der Sinn und Zweck einer Einführungsveranstaltung besteht nicht darin, die Studenten durch das Ausmalen düsterster Zukunftsperspektiven zu verunsichern, sondern sie bei ihren lebensweltlichen Erwartungshaltungen abzuholen und auf ein wissenschaftliches Denken einzustimmen. Später erfuhr ich, dass es sich bei dem Dozenten um einen der vielen frustrierten ›Mittelbauer‹ an dem Institut handelte, die zwar die Hauptlast der Lehre trugen, aber keine Aussicht auf die Besetzung einer Professur hatten. Kein Wunder also, dass sie ihre eigene Perspektivlosigkeit auf arglose Erstsemester projizierten.

Neben der desillusionierende Einführungsveranstaltung gab es jedoch noch eine weitere Parallele. Auch bei der Geoökologiestudentin gab es – wie ihr Interesse am Artensterben zeigte – anscheinend einen Zusammenhang zwischen der Wahl des Studienganges und dem Wunsch etwas für die bedrohte Umwelt zu tun. Ich hatte mich damals für ein Geographiestudium entschieden, weil dieser Disziplin der Ruf vorauseilte, etwas mit dem ›wirklichen Leben‹ und insbesondere den ›wirklichen Umweltproblemen‹ zu tun zu haben. Sie schien die Alltagswelt (in der Fachrichtung Landschaftsökologie die ›Umwelt‹) nicht nur auf eine wissenschaftliche, sondern auch auf eine vertraute Art abzubilden und emotional zu besetzen.

Im Verlauf des Studiums wurde jedoch immer deutlicher, dass Theorie und Praxis in eklatanter Weise differierten: So wurde die Erfassbarkeit der landschaftlichen Ökosysteme oder auch der Mensch-Umwelt-Raum-Wirkungsgefüge durch eine spezifisch geographische Synthese zwar immer wieder beschworen; zwischen diesem theoretischen Anspruch und dem praktischen Instrumentarium, das uns an die Hand gegeben wurde, klaffte aber eine riesige Lücke. Als sich an dieser Diskrepanz auch durch einen Studienortwechsel nichts änderte, schrieb ich 1984 die Streitschrift »Geographie und Urschlamm«, in der ich meinem Ärger über den holistischen Unsinn, der mir vermittelt wurde, Luft verschaffte.

1985 schrieb ich dann die Diplomarbeit »Die Verwissenschaftlichung des Landschaftskonzeptes am Beispiel der Basler Geoökosystemforschung«. Darin wendete ich nicht wie – eigentlich in der Studienordnung vorgesehen – das erlernte disziplineigene Instrumentarium an, sondern kritisierte es vielmehr am Beispiel einer ambitionierten Zweigstelle. Die Essenz dieser Arbeit veröffentlichte ich 1987 in der »Geographischen Zeitschrift«. Knapp 15 Jahre später wurde ich durch Beiträge eines Münsteraner Geographiedidaktikers zufällig darauf aufmerksam, dass über die Frage, mit welcher Ökologie die Geographen ihre landschaftlichen Systemzusammenhänge erfassen sollen, immer noch kontrovers diskutiert wird.

In der Folge veröffentlichte ich in den Zeitschriften »DIE ERDE« und »Geographische Rundschau« die Beiträge »Warten auf Godot« und »Geoökosystemforschung aufs Abstellgleis?«. Darin wies ich erneut am Beispiel der Basler Geoökosystemforschung auf die Nutzlosigkeit und Sterilität der geographischen Sonderökologien und ihrer Eigenbegrifflichkeiten hin. Es überraschte mich daher nicht übermäßig, dass in der Selbstdarstellung des Institutes, an dem die zuvor erwähnte Studentin studiert, die Geoökologie auch im Jahre 2010 noch ganz unverblümt und ahnungslos als interdisziplinäre oder integrative Umweltwissenschaft dargestellt wird, die das Verständnis komplexer biologischer, chemischer und physikalischer in der Umwelt ablaufender Prozesse zum Ziel habe.

Dieses abstrakte Gerede war mir aus meinem Studium bis zum Überdruss bekannt. Ohne die Angabe einer spezifischen Fragestellung und entsprechender Lösungsstrategien ist diese Definition aber leer und beschreibt günstigstenfalls was alle Naturwissenschaftler tun. Auch für einen Biologen ist das Verständnis chemischer und physikalischer Prozesse für das Gelingen seiner Experimente unerlässlich. Und für einen Physiker oder Chemiker gilt ähnliches. Mit anderen Worten: Ohne die Kenntnis der alten landschaftlichen Überzeugungen, die eng mit dem Sphären- und Stufenbau oder der Integrationsleiter des irdischen Seins in europäischen Metaphysik verbunden sind, ergibt sie überhaupt keinen Sinn.

Die Illusion, dass es eine integrierenden Umweltwissenschaft gibt, die in der Lage ist, das komplexe Funktionsganze der Umwelt oder auch den Mensch-Umwelt-Systemzusammenhang zu erfassen, scheint offenbar unkaputtbar zu sein. Ich habe mich daher entschlossen, meine in Teilen zwar etwas betagte, aber dennoch aktuelle Auseinandersetzung mit diesem disziplinübergreifenden Albtraum hier Online zu stellen. Dies ermöglicht vielleicht dem ein oder anderen Studenten, dem Riesenschwindel von der Erfassbarkeit komplexer Wechselwirkungen in Geoökosystemen durch eine spezifisch synthetische Methodik frühzeitig auf die Spur zu kommen.

Geooekologie im Urschlamm »Geographie und Urschlamm – Eine ›komplexe Standortanalyse‹ zur Basler Geographie der Schule Leser«. – Eine Streitschrift, die ich 1984 als Abrechnung mit meinem Studium verfasst und in erklecklicher Auflage veröffentliche habe. – [PDF-Datei 337 KB], Download
Standortregelkreis Ausschnitt »Analyse einer Theorie der Geographischen Ökosystemforschung«. – In: »Geographische Zeitschrift« (1987, H. 4). – [PDF-Datei 5.400 KB], Download
Warten auf Godot »Warten auf Godot«. – Ein Diskussionsbeitrag zum Artikel »Ökologie gehört zur Erdkunde - aber welche?« des Münsteraner Geographiedidaktikers Jürgen Lethmate. – In: »DIE ERDE« (2000, H. 4). – [PDF-Datei 34 KB], Download
Geooekologie »Geoökosystemforschung aufs Abstellgleis«. – Ein kontroverser Beitrag zum Artikel »Das geoökologische Defizit der Geographiedidaktik« von J. Lethmate. – In: »Geographische Rundschau« (2001, H. 3). – [PDF-Datei 1.000 KB], Download

G.M., 10.05.10

 

Stilisierte Heidelandschaft mit Hirte und Herde

Arkadien in Deutschland: Stilisierte Heidelandschaft mit Hirte und Herde

Der GEOgrafiker ist eine vom Berliner Geographenkreis Ende der 1960er / Anfang der 1970er Jahre herausgegebene Zeitschrift, mit der Namen wie H.-D. Schultz, Ulrich Eisel oder Gerhard Hard verbunden sind. Zum 37. Deutschen Geographentag in Kiel erschien eine Sonderausgabe, die eine methodologische Diskussion in Gang setzte, bei der sich die engagierten Studenten zur Verblüffung der etablierten Professorenschaft erheblich informierter als die Lehrenden selber zeigten. Von da an waren die pseudowissenschaftlichen Züge der geographischen Landschafts- und Länderkunde kaum mehr zu verheimlichen.

Erstaunlicherweise finden sich die Mythen und Ideologien, die mit dem geographischen Landschaftsbegriff transportiert werden, auch über 40 Jahre nach dem legendären Geographentag in Kiel nicht nur in der aktuellen geographischen Landschaftsökologie oder Geoökologie, sondern auch in anderen modernen Umweltwissenschaften wieder. Allerdings sagt man heute nicht mehr die Landschaft sei ein ganzheitlicher Wirkungszusammenhang, sondern das Geoökosystem ist ein integrierter Systemzusammenhang und statt von Mensch-Natur-Harmonien redet man lieber von ökologischen Gleichgewichten.

Um es etwas despektierlicher zu formulieren: Alter Kack im neuen Frack!


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