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Im Beitrag »Jenseits von Afrika: Neuseeland«
hatte ich bemerkt, dass es für einen mitteleuropäischen Naturschützer
etwas gewöhnungsbedürftig oder sogar sehr befremdlich ist, dass Naturschutz in Neuseeland in erster Linie töten heißt,
um unerwünschte biologische Invasoren auszurotten. In Neuseeland gab es aufgrund seiner frühen Abspaltung vom südlichen
Urkontinent Gondwana vor dem Eintreffen des Menschen so gut wie keine Säugetiere. Deshalb hat sich dort eine einzigartige
Pflanzen- und Vogelwelt mit besonders vielen endemischen Arten, also Arten, die nur in Neuseeland vorkommen, entwickelt.
Viele Vogelarten, darunter der Kiwi, das neuseeländische Wappentier, haben im Verlauf der Evolution das Fliegen verlernt,
weil ihnen am Boden keine Gefahr von gefräßigen Säugern drohte. Mit dem Eintreffen der Maori und später vor allem der
europäischen Siedler hat sich dies radikal geändert. Sie schleppten Ratten, Katzen, Hunde, Wildschweine, Wiesel und Marder
ein, die vielen flugunfähigen Vögeln den Garaus machten. Als bei weitem größtes ökologisches Desaster erwies sich jedoch die
Einführung des Brushtail Possums (Trichosurus vulpecula), das in Deutschland unter dem Namen Fuchskusu bekannt ist.1)
Im Folgenden wird es hier mit seinem englischen Namen Possum bezeichnet.
Die zur Familie der Kletterbeutler gehörenden Possums wurden erstmals 1837 von einem europäischen Siedler aus Australien
eingeführt, um in dem pelztierarmen Land eine Pelzindustrie zu begründen. Die ersten Freilassungen waren nicht sehr erfolgreich,
doch die Siedler ließen sich davon nicht entmutigen. 1885 gelang es dann, die erste Population auf der Südinsel zu etablieren.
Bis 1922 wurden 36 weitere Chargen Possums importiert und an 450 Orten im gesamten Land freigelassen. Ein großer Teil der
Possums stammte aus Tasmanien, weil sie größer waren und ein dunkleres Fell hatten, das sich besser vermarkten ließ. Es gab
zwar schon früh Hinweise, dass Possums den Ertrag von Obst und Feldfrüchten beeinträchtigten, aber einflussreiche Biologen
waren davon überzeugt, dass sie außer in Obstplantagen und bei fremdländischen Gehölzen keine Schäden anrichten würden. Trotzdem
wurde die Freilassung von Possums schon 1921 verboten und das Jagen und der Handel mit Fellen reglementiert. Von den meisten
Trappern wurden diese Verbote jedoch ignoriert. Zu Beginn der 1940er Jahre wurde dann immer offensichtlicher, dass Possums die
einheimischen Wälder schädigten. Daher wurden 1946 alle Jagdbeschränkungen aufgehoben und die Geldstrafen für das Aussetzen
drastisch erhöht.
Der erste großangelegte Versuch, die Possumplage einzudämmen, startete 1951 als von der Regierung Prämien für getötete Possums
gezahlt wurden. Die Prämie wurde gegen die Vorlage von zwei Ohren und einem Streifen Fell ausgehändigt. In den folgenden zehn
Jahren wurden mehr als 8 Millionen Prämien ausgezahlt, ohne das dies die Expansion der Possumpopulationen in den bedrohten Wäldern
stoppen konnte. Dies lag vor allem daran, dass der überwiegende Teil der abgelieferten Possums nicht in abgelegenen Wäldern,
sondern an leicht zugänglichen Orten gefangen worden war, einfach von Straßen eingesammelt wurde oder gar aus Pelztierfarmen stammte.
Um 1960 hatte sich das Possum schon auf 85 % und 1980 auf über 90 % der Landesfläche ausgebreitet. Als letztes wurde das gebirgige
Fiordland auf der Südinsel und das legendäre Northland auf der Nordinsel besiedelt. Possumfrei sind neben kleinen Hochgebirgsregionen
jetzt nur noch einige Naturschutzinseln vor der Küste und eingezäunte Naturreservate auf dem Festland, in denen sie zuvor zusammen
mit anderen Säugern systematisch ausgerottet wurden. Die Gesamtzahl der Possums wird derzeit auf 50 bis 70 Millionen Exemplare
geschätzt. Das sind deutlich mehr als die Zahl der Schafe, für die Neuseeland so bekannt ist.2)
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Dieser ca. 9 km lange Zaun schützt das 225 Hektar große »Karori Wildlife Sanctuary« in der Nähe
von Wellington vor dem Eindringen von Possums und anderen Säugern. Das Reservat ist für Besucher
nur über extra gesicherte Schleusen zugänglich. Der Erfolg der Aussperrung von Pest (jegliche Art
von Säugern inklusive Mäusen) wird mit unzähligen Fallen kontrolliert.
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Die etwa katzengroßen, nachaktiven Possums sind gierige Allesfresser. Auf ihrem Speiseplan stehen Triebe, Blüten,
Blätter, Zweige, Rinde und Früchte, aber auch Insekten, Schnecken Frösche, Eier und junge Vögel. Ein Possum
frisst zwar täglich nur knapp 200 g Grünzeug, alle zusammen vertilgen sie aber über 20.000 Tonnen Grünzeug
täglich und dies erklärt, warum sie ganze Wälder ökologisch devastieren und in Buschland umwandeln können.
Darüber hinaus schädigen sie Vogelpopulationen. Sie nehmen ihnen die Nahrung weg, indem sie Blüten und Früchte
vertilgen und bedrohen sie direkt, indem sie ihre Nester ausräubern. Allein schon ihre Anwesenheit kann sich
negativ auswirken, weil sie die Aktivitäten der Vögel stören. Deshalb ist dort, wo die Possumpopulation dezimiert
wird, der Bruterfolg oft doppelt so hoch wie in anderen Gebieten. Sie wirken sich jedoch nicht nur auf die heimische
Natur und den Obst- und Gemüseanbau negativ aus, sondern auch auf die Farmwirtschaft. Seit Anfang der 1960er Jahre
weiß man, dass Possums Überträger der Rindertuberkulose sind. Und als wenn das nicht schon genug wäre, dringen
sie wenn sie in der Nähe von Siedlungen leben ähnlich Waschbären in die Dächer von Häusern ein.
Kein Wunder also, dass Possums in Neuseeland Ratten den Rang als meist gehasste Kreatur streitig gemacht haben
und als größte nationale Umweltpest gelten. Trotz ihrer Kulleraugen und ihres flauschigen Fells ist für einen
Neuseeländer nur ein totes Possum ein gutes Possum. Dies zeigt sich schon auf Landstraßen. Es vergeht kaum ein
Kilometer, auf dem sich nicht ein in unterschiedlichen Graden der Zermalmung plattgefahrenes Possum findet. Viele
von ihnen sind keine Unfallopfer, sondern wurden gezielt überfahren. Die Neuseeländer sagen, wer die Gelegenheit
zu einem »road kill« auslässt, verdient einen Strafzettel. Erheblich weniger Einvernehmen herrscht bezüglich der
Methode, mit der die allmächtige Naturschutzbehörde, das Department of Conservation (DOC), die Possumepidemie bekämpft.
Das DOC versucht schon seit 1950er Jahren das Possumproblem mit Vergiftungskampagnen zu lösen. Im Auftrag des DOC werden
jährlich tausende Tonnen von Giftködern auf einer Fläche von 80.000 qkm aus Hubschraubern abgeworfen oder von Bodenstationen
aus verteilt. Die Köder enthalten den Wirkstoff Natrium-Mono-Flouracetat (NaFAc), ein hochwirksames Gift, das schon in
geringen Dosen für Wirbeltiere tödlich ist. Der Wirkstoff kommt zwar in einigen Pflanzen auch natürlich vor, wird aber
synthetisch hergestellt und unter dem Namen 1080 vertrieben.
Obwohl es nicht einmal spezifisch letal für Säugetiere wirkt, sondern auch Vögel, Fische, Amphibien und Insekten tötet,
ist die neuseeländische Naturschutzbehörde davon überzeugt, dass die Vorteile des Gifteinsatzes überwiegen 3). Damit
steht sie allerdings ziemlich allein auf der Welt, denn über 80 % der Weltproduktion dieses in einer einzigen Fabrik
in Amerika produzierten Giftes gehen nach Neuseeland. Das Gift ist so stark, dass es auch in der Nahrungskette wirkt,
also auch solche Tiere tötet, die vergiftete Kadaver fressen. In den Einsatzgebieten wird daher mit Warnschildern auf
die Giftköder aufmerksam gemacht. Ein Totenkopfsymbol macht dabei unmissverständlich deutlich, dass man sich in einem
vergifteten Gebiet befindet. Die Giftkampagnen des DOC treiben nicht nur in Neuseeland immer mehr Leute zu Protestmärschen
auf die Straße, sondern haben sich bis nach Europa herumgesprochen. 2008 titelte die Berliner Zeitung »Giftkrieg im Märchenwald«.
Urtümliche Regenwälder über denen Giftköder abwerfende Hubschrauber kreisen, in denen vergiftete Tiere liegen oder in deren
Flüssen Kadaver treiben, das passt einfach nicht zusammen. Dies hat auch die Tourismusbranche erkannt, die Imageschäden
befürchtet, da mit Totenkopfschildern bestückte Wälder sich kaum als Naturerlebnis vermarkten lassen.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass das Gift einen ausgesprochen langsamen und qualvollen Tod bewirkt. Die Dauer des
Todeskampfes hängt von der Stoffwechselgeschwindigkeit ab. Bei Pflanzenfressern kann er bis zu 44 Stunden dauern, bei
Fleischfressern mit schnellerem Stoffwechsel bis zu 21 Stunden. Da klingt es schon makaber, wenn die Naturschutzbehörde
die Vergiftungskampagnen ausgerechnet zusammen mit der Tierschutzbehörde (Animal Health Board)
organisiert. (Die Tierschutzbehörde unterstützt den 1080-Gifteinsatz, weil sie verantwortlich für die Bekämpfung
der Rindertuberkulose ist, die durch infizierte Possums übertragen wird.) Beide Behörden lassen sich offenbar nur
von dem Ziel leiten, dass die Possumbekämpfung einfach zu organisieren und kostengünstig sein muss. Wobei kostengünstig
relativ ist, denn die umstrittenen 1080-Giftkampagnen kosten dem Steuerzahler jährlich um die 100 Millionen Dollar,
während in die Entwicklung von Alternativen wie z. B. die Kontrolle der Fruchtbarkeit nur 2 Millionen Dollar investiert
wird. Für viele Neuseeländer ist es daher ein Skandal, dass die Naturschutzbehörde heute immer noch dieselbe
umweltvergiftende und tierquälerische Schädlingsbekämpfungsmethode wie vor einem halben Jahrhundert einsetzt.
Mit den 1080 Gifteinsätzen aus der Luft kann das Possum insbesondere in großen oder schwer zugänglichen Gebieten
kostengünstig bekämpft werden. Die nationale Naturschutzbehörde wird nicht müde, die Vorteile dieser Kampagnen
für die neuseeländische Natur zu betonen. Doch außer bei den Farmern, die Tuberkulose Seuchen fürchten, findet
sie wenig Verständnis in der Bevölkerung. Das DOC ist daher immer öfter gezwungen, die Gifteinsätze durch
Sicherheitsdienste vor protestierenden Bürgern zu schützen. Heftige Kritik an der Possumbekämpfung aus der
Luft wird auch von der Possumindustrie geübt. Jedes Possum hat einen Marktwert von etwa 30 Dollar. Aus dem
weichen Fell der Possums können hochwertige Pelzprodukte wie Mantelkrägen oder Schals hergestellt werden.
Darüber hinaus können die weichen Fellhaare mit Schafwolle versponnen und zu luxuriösen Pullovern oder anderer
Bekleidung verarbeitet werden. Und Handschuhe aus Possumleder sind sehr beliebt, weil sie nahezu unverwüstlich
sind. Neuseeland ist vermutlich das einzige Land, wo Umwelt- und Tierschutzaktivisten dafür werben, Pelze- oder Fellprodukte
zu tragen, zumindest wenn sie vom Possum stammen. Selbst das schmackhafte Fleisch des Possums wird vermarktet und vor
allem nach Asien exportiert, weil es dort als Aphrodisiakum gilt. Die Verarbeitung von Possums zu Produkten ist jedoch
nur möglich, wenn sie in Fallen gefangen oder geschossen werden.4)
Als Resümee können wir festhalten, dass es in Neuseeland ganz schwer ist, einen Naturschützer von einem Schädlingsbekämpfer
oder Pelztierjäger zu unterscheiden und Naturreservate auf verblüffende Weise Hochsicherheitstrakten gleichen.
Anmerkung
1) Die Mitglieder der Familie der Kletterbeutler werden seit 1934 als Possums be zeichnet, um sie von dem amerikanischen
Opossum zu unterscheiden, das zwar auch ein Beuteltier ist, aber zu einer anderen Familie gehört.
2) In seinem Herkunftsland Australien erreicht das Possum erheblich geringere Besiedlungsdichten. Dort sorgen im
Unterschied zu Neuseeland natürliche Feinde und Konkurrenten dafür, dass es sich nicht epidemisch ausbreiten kann.
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3) Bei einem Experiment, in dem untersucht wurde wie 1080 sich auf eine Kea-Population (das sind intelligente unter
Artenschutz stehende Papageien) auswirkt, wurde ein Drittel aller markierten Keas vergiftet. Die Naturschutzbehörde
nimmt dies als bedauerlichen Kollateralschaden in Kauf und verweist darauf, dass sich die Vogelpopulation wenn das
Possumproblem gelöst ist langfristig wieder erholen wird.
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4) Die Vermarktung von Possums, die mit 1080-Ködern vergiftet werden, scheitert daran, dass deren
Kadaver nicht gezielt eingesammelt werden können.
Literatur
Hutching, Gerard (2009): Possums Spread of possums. In: Te Ara the Encyclopedia of New Zealand
Kegel, Bernhard (2000): Die Ameise als Tramp. Von biologischen Invasionen. Zürich
Stein-Abel, Sissi (2008): Giftkrieg im Märchenwald Neuseeland bekämpft mit Ködern die Opossum-Plage, doch auch Vögel,
Rehe, Hunde verenden. Die Bevölkerung protestiert. In: Berliner Zeitung vom 13.08.2008
G.M., 12.06.2011