Das große Buch der Schrullen
Das Darwin-Jubiläumsjahr hat nicht nur die Wissenschafts- und Feuilleton-Spalten der Presse mit Berichten bis zum Überdruss rund um
Darwin gefüllt, sondern auch eine regelrechte Darwin-Buchindustrie hervorgebracht. Natürlich hat sich auch Deutschlands ambitioniertester
Evolutionsbiologe, der gelernte Pflanzenphysiologe Ulrich Kutschera, an dem Darwin-Hype beteiligt. Und zwar, wie der DTV-Verlag verkündet,
nicht mit irgendeinem, sondern »dem wohl wichtigsten Buch zum Darwin-Jahr«. Tatsächlich ist es eines der schrulligsten Bücher, das ich je
in meinen Händen gehalten habe. Was Kutschera, der ganz unbescheiden von einem »Zehn-Kapitel-Opus« spricht, da zusammengeschrieben hat,
ist milde formuliert, ein Buch im ungehobelten Rohzustand; ein Manuskriptentwurf, der vielleicht vorzeitig aus dem Fertigstellungsprozess
entlassen wurde, um pünktlich zum Darwin-Jahr zu erscheinen. Als eine der wenigen Rezensenten hat die Deutschlandradio-Redakteurin
Susanne Billig den Mumm gehabt, sich nicht von den superlativen Verlagsankündigungen beeindrucken zu lassen und den katastrophalen Zustand
des Buches auf den Punkt zu bringen: Ȇberhaupt wirkt Kutscheras Buch in vielen Teilen fragmentarisch kleinteilig. Es springt von einem zum
anderen Gedanken, scheint immer wieder den roten Faden zu verlieren (…) – mehr Klarheit und Struktur hätten dem Buch nicht geschadet.«
Außer dem geleimtem Einband wird das Werk nur durch Kutscheras bis zum Überdruss bekannte objektivistisch-naturalistische Botschaft
zusammengehalten: »Naturwissenschaft und somit Evolutionsforschung ist ein auf objektiven Fakten basierendes ideologiefreies Unternehmen,
bei dem subjektive Glaubensinhalte (Götter, Geister und Designer) aus erkenntnistheoretischen und methodologischen Gründen ausgeklammert
werden.«2) Der Wissenschaftsjournalist Benno Kirsch
bezeichnet das Buch als »Bekenntnisliteratur«, die »manchmal amüsant sein [kann],
meistens aber ärgerlich ist, weil sie im Gewand der Wissenschaftlichkeit daherkommt«. Amüsant, weil voller unfreiwilliger Komik, ist
das Buch allerdings nur, wenn man es zur Erheiterung liest und nicht etwa, um es zu besprechen. Die fast durchgängig verworren-verschrobene
Argumentation macht es nahezu unrezensierbar. Jede gewissenhafte Besprechung würde nicht nur Umfang des Buches, sondern auch ein
vertretbares Zeitbudget des Rezensenten übersteigen. Ich habe mich daher entschlossen, das Werk Schrullenweise abzuarbeiten, wobei
die Auswahl der Schrullen vor allem von ihrem Unterhaltungs- und Richtigstellungswert bestimmt ist und ihre Reihenfolge weitgehend
zufällig ist.
Trotz des hohen Amüsierfaktors kann ich die Lektüre des Werkes nicht uneingeschränkt empfehlen. Kutschera neigt dazu, ziemlich
oberflächlich und verquer über Darwin, die Evolutionsbiologie und die Weltgeschichte herumzuschwadronieren. Um von den kontextarmen
Ad-hoc-Darstellungen nicht völlig ›Kirre‹ zu werden, empfiehlt es sich, parallel zwei Bücher zu lesen, die Darwins Leben und Werk
und das, was er über moderne evolutionsbiologische Forschungsfronten nicht wissen konnte, gewinnbringend und erkenntnisvertiefend
darstellen: »Das kooperative Gen – Abschied vom Darwinismus« von Joachim Bauer und »Charles Darwin – Der Große Naturforscher und
seine Theorie der Evolution« von David Quammen. Die eindrucksvolle Beschreibung des Menschen Charles Darwin und seines Werkes durch
den Wissenschaftsjournalisten Quammen wird von der deutschen Evolutionsbiologie weitgehend ignoriert, vermutlich weil er kein
ausgewiesener Wissenschaftler ist und den disziplinären Mainstream nicht bedroht. Das Werk des Molekular- und Neurobiologen Bauer
wird dagegen vernichtend kritisiert, weil der sich als disziplinärer Quereinsteiger nicht nur erlaubt hatte, darwinistische Dogmen
in Frage zu stellen, sondern seine Thesen auch noch erfolgreich zu vermarkten. Für diesen doppelten Tabubruch wird er von den
evolutionsbiologischen Wortführern aufs Übelste herabgesetzt.
Besonders negativ hervorgetan hat sich bei diesem Bauer-Bashing der renommierte Molekulargenetiker Axel Meyer. Er bescheinigt
Bauer in einer schmalen Rezension, dass er »keine Ahnung von Evolutionsbiologie«, »wirres Zeug postuliert« und in seiner »Klausur
Evolutionsbiologie sicherlich durchfallen« würde und zwar ohne diese schweren Vorwürfe, auch nur ansatzweise inhaltlich zu
begründen3). Diese Entgleisung kann ich mir nur wie folgt erklären: Der bislang hellste Stern am deutschen evolutionsbiologischen
Himmel Meyer fühlt sich von dem Außenseiter Bauer überrumpelt, weil der völlig unerwartet das mit Abstand erfolgreichste und beste
fachwissenschaftliche Buch zum Darwin-Jubiläumsjahr geschrieben hat. Dies fuchst Meyer, weil der in den letzten Jahren zunehmend
selber versucht hat, sich als Darwin-Experte und Wissenschaftspopularisierer zu etablieren. Nun hat Bauer ihm offenbar die Butter
vom Brot genommen. Wie so oft scheint der Neid das dominierende Motiv für die unappetitliche Kollegenschelte zu sein. Natürlich
missgönnt auch unser Protagonist Kutschera seinem Konkurrenten Bauer den Erfolg. In einem erbosten
auf der Amazon-Website
verunglimpft er Bauers Werk als »wirre Sachbuch-Spekulationen eines Alzheimer-Forschers«, die »in aktuellen Bio-Lehrbüchern nichts
verloren« hätten. Anlass genug, sich einmal näher mit seinem eigenen Werk zu beschäftigen.
Schrulle 1
Kutschera (2001, 2004, 2006, 2008a...) oder warum Kutschera penetrant auf eigene Werke verweist
Wer Kutscheras Buch liest, muss sich auf diverse Zumutungen gefasst machen. Hilfreich für die Lektüre ist, wenn sich der Leser durch
die permanenten Verweise auf die Werke des Autors nicht nerven, sondern freundlich stimmen lässt. Der bringt das unglaubliche
Kunststück fertig, sich auf kaum mehr als 300 Seiten Buchumfang über 140 (in Worten einhundertundvierzig) Mal selbst zu zitieren.
Zweifellos ein Rekord in der Geschichte des populärwissenschaftlichen Taschenbuches hinter dem selbst als egozentrisch bekannte
Autoren wie Däniken, v. Buttlar oder Zillmer um Lichtjahre zurückfallen. Rekordverdächtig ist die Seite 305, auf der er allein
8 Mal auf eigene Werke verweist. Konkret sieht das dann so aus: »(Kutschera 2001, 2004, 2008 a, c; Kutschera und
Niklas 2004, 2005, 2008«). Schauen wir einmal genauer hin, was Kutschera eigentlich mit solchen monomanen Zitierexzessen bezwecken
will? Im zuvor angeführten Fall versucht er, den von ihm kreierten Terminus »Erweiterte Synthetische Theorie« mit einer Vielzahl
von selbstreferenziellen Belegen zu unterfüttern und hoffähig zu machen. Dabei wirft er ein bezeichnendes Licht auf seine wenig konstruktive
Art, zur wissenschaftlichen Theoriebildung beizutragen.
In seinem Lehrbuch »Evolutionsbiologie« verwendet er den Terminus »Erweiterte Synthetische Theorie« synonym mit den Begriffen »moderne
Evolutionstheorie« und sogar »Evolutionsbiologie« selber, was schon dessen Sinnentleertheit unterstreicht. In einer erläuternden Abbildung
subsumiert er darunter zehn mehr oder weniger aktuelle evolutionsbiologische Forschungsfelder, wie z. B.
die »Entwicklungsbiologie (Hox-gene)«, die »Soziobiologie (Verwandtenselektion)« oder die »Geologie (Massensterben)«. Diese
Forschungsfelder, die außer durch dürftige Stichworte in Klammern, nicht näher spezifiziert sind, pfropft er dem alten Standardmodell
der Evolution (der »Synthetischen Theorie«) auf. Dies soll wohl suggerieren, dass in der modernen Evolutionsbiologie alte und neue
Erkenntnisse nicht konkurrieren, sondern aufeinander aufbauen und sich bei der Erklärung »verschiedener Aspekte des dokumentierten
Artenwandels« zu einem fruchtbaren Ganzen vereinen. Das ist natürlich eine naive Vorstellung und ein frommer Wunsch. Damit dies nicht
unmittelbar deutlich wird, werden brisante Theorien, wie die »Neutrale Theorie der molekularen Evolution« oder
die »Hydraulik-Evolutionstheorie der Frankfurter Schule«, erst gar nicht aufgelistet. Kutscheras Bemühen, den Terminus »Erweiterte
Synthetische Theorie« zu etablieren, ist folglich ein leicht durchschaubarer Versuch, sein trivialisierendes Verständnis der ebenso
komplexen wie widersprüchlichen evolutionsbiologischen Theoriebildung hoffähig zu machen.
Von den bereits erwähnten 140 Verweisen auf seine eigenen Werke entfallen allein über 40 auf das Lehrbuch »Evolutionsbiologie« (»2008 a«).
Er behandelt es damit geradeso, als wenn es sich bei seinem Lehrbuch um von ihm erarbeitete und publizierte weiterführende
Forschungsliteratur handeln würde und nicht um das, was Lehrbücher im Allgemeinen sind, nämlich eine eher konventionelle Auswertung und
Zusammenfassung der einschlägigen Forschungsliteratur. Fast alle Lehrbuchverweise hängen zudem in der Luft, d. h. sind ohne spezielle
Seiten- oder Kapitelangabe. Da wird sich wohl selbst ein von Kutscheras Qualitäten als Lehrbuchautor überzeugter Leser fragen, ob nicht
der bereits in der Einleitung vorhandene Hinweis auf das Werk völlig ausgereicht hätte, um alle anderen Verweise überflüssig zu machen.
Kutscheras ungenierte Zitierexzesse sind von diversen Rezensenten gerügt worden, auch von solchen, die seiner atheistischen Mission
ansonsten wohlwollend gegenüberstehen. Es ist zu befürchten, dass Kutschera sich davon nicht weiter irritieren lässt. Er scheint von der
Vorstellung berauscht zu sein, dass er seit seiner kurzen evolutionsbiologischen Karriere in nahezu allen evolutionären Forschungsfeldern
ein bedeutender Akteur ist. Und auf diese selbstillusionierte Größe kann er den Leser offenbar nicht oft genug aufmerksam machen!
Schrulle 2
»Darwin (1859/1872)« oder »was Darwin wirklich sagte«
Seit dem Beginn des Darwin-Jahres 2009 ist auch einem Laienpublikum bekannt, dass Darwins epochales Werk über die Entstehung der Arten
erstmals 1859 erschienen ist. Nicht ganz so bekannt ist, dass der Erstveröffentlichung bis 1872 fünf weitere Auflagen folgten. Die Ausgaben
unterscheiden sich z. T. erheblich voneinander. Z. B. fügte er in dritte Auflage eine Aufzählung seiner theoretischen Vorgänger bei, um
Anschuldigungen zu begegnen, er beanspruche die Urheberschaft von Ideen anderer Naturforscher. Nicht jede Veränderung stellte auch eine
Verbesserung dar. Quammen (2008) lobt z. B. die couragierte Erstausgabe und bemängelt, dass Darwin in späteren Ausgaben auf Kritik
überreagiert habe, indem er zuvor klare Aussagen durch »Spitzfindigkeiten« und »Abmilderungen« verwässert habe. Es ist also gar nicht
so einfach zu rekonstruieren, welche Meinung Darwin denn nun tatsächlich vertreten hat. Natürlich gilt das nicht für unseren Protagonisten
Kutschera. Der kündigt schon in der Einleitung seines Werkes großspurig an, darzulegen, was »Darwin wirklich sagte«. Um dies herauszufinden,
genügt ihm ein trivialer statistischer Vergleich des Vorkommens bestimmter Begriffe wie »evolution«, »descent with
modifikation«, »survial of the fittest« oder »creation« in der ersten und in der letzten Ausgabe des Werkes.
Aus dem zahlenmäßigen Ergebnis seiner ›Analyse‹ zieht er abenteuerliche Schlüsse, z. B. dass Darwin in 1859 noch über keine
Evolutionstheorie verfügte, weil er in der Erstausgabe seines Artenbuches noch nicht die Phrase »survial of the fittest« verwendete.
Leider versäumt Kutschera, uns darüber aufzuklären, warum erst diese von dem Philosophen Herbert Spencer übernommene Formulierung,
die bekanntermaßen nichts an den Grundfesten des Variations-/Selektionsmechanismus geändert hat, aus Darwins Theorie eine richtige
Evolutionstheorie gemacht hat. Ferner erfahren wir, dass Darwin weder in der ersten noch in der letzten Ausgabe den Begriff »Bible«
verwendet hätte. Auch hier überrascht Kutschera den Leser mit einer verblüffenden Interpretation: »Die Kreationisten seiner Zeit hätten
dem ängstlich-zurückgezogen lebenden Naturforscher wohl großen Ärger bereitet (Protestaufmärsche vor seinem Anwesen etc.).« Woher weiß
Kutschera so konkret von Gefahren, die nicht einmal Darwin selber in Erwägung gezogen hat? Quammen (2008) führt in seinem sorgfältig
recherchierten Werk ein ganzes Bündel von möglichen Gründen dafür an, warum sich Darwin bezüglich der theologischen Implikationen seiner
Theorie so vorsichtig verhalten hat. Die Angst vor Protestmärschen von fanatisierten Gläubigen, die seine »Villa umstellen«, zählt nicht
dazu.3)
Abgesehen von diesen trivialen Vergleichen und Interpretationen bedient sich Kutschera nur der letzten Ausgabe, um herauszufinden,
was »Darwin wirklich sagte«. Die ist aber – wie bereits bemerkt – aufgrund von Darwins überzogenen Relativierungen anlässlich von
Kritik nicht unbedingt die Informativste. Kutschera begnügt sich aber auch hier nicht einmaligen Hinweis auf seine Vorgehensweise,
sondern meint, seinen einzigartigen Zugang zu Darwins Werk damit dokumentieren zu müssen, indem er insgesamt über vierzig Mal auf die
ungewöhnliche Literaturangabe »Darwin (1859/1872)« verweist. Zweifelsfrei hätte hier ein Hinweis in der Einleitung genügt, um dem Leser
viele sperrig zu lesende Verweise zu ersparen. Vermutlich muss der Leser aber froh sein, dass Kutschera darauf verzichtet hat, die
einzigartige Sorgfalt, mit der er Darwins »Artenbuch« studiert hat, nicht mit der 40-maligen Wiederholung der Formulierung
Darwin (1859, 1860, 1861, 1866, 1868 & 1872) zu dokumentieren. Mit Blick auf die bereits in Schrulle 1 angeführten monomanen
Zitierexzesse können wir resümieren, dass das laut DTV-Verlag »wichtigste Buch zum Darwin-Jahr« im erheblichen Umfang aus überflüssigen
Verweisen besteht, entweder auf den ehrwürdigen Jubilar oder den nach eigener Einschätzung ›wohl größten Evolutionsbiologen und
Darwin-Kenner aller Zeiten‹, nämlich Kutschera selber.
Schrulle 3
Die per Akklamation von ›Ismen‹ befreite, einheitlich paradigmatisierte evolutionsbiologische Lehre
Kutschera impft dem Leser immer wieder ein, dass die Evolutionsbiologie eine völlig rationale, auf Fakten und Tatsachen fest gegründete
naturwissenschaftliche Fachdisziplin ist, die heute weit davon entfernt ist, in konkurrierende Denkrichtungen zerfallen zu sein. Wie wir
bereits gesehen haben, räumt er zwar ein, dass es unterschiedliche Theorien (›Forschungsfelder‹) gibt, die würden aber nicht konkurrieren,
sondern sich bei Erklärung der Vielfalt evolutiver Prozesse ergänzen. Damit keine Zweifel an seiner Darstellung einer einheitlich
paradigmatisierten Fachdisziplin »Evolutionsbiologie« aufkommen, versteigt er sich im Kapitel »Abschied von der Evolutionstheorie und den
biologischen Ismen« zu dem Resümee: »Als Schlussfolgerung dieses Abschnittes wollen wir festhalten, dass populäre Begriffe wie z. B.
Lamarck-, Darwin-, Weismann-Ismus und andere‚›Ismen‹ in der Fachdisziplin Evolutionsbiologie seit Jahren nicht mehr in Gebrauch sind,
da diese Termini u. a. an politisch-religiöse Ideologie erinnern (z. B. Sozialismus, Marxismus, Katholizismus usw.)«. Das ist natürlich
keine Aussage über die Praxis des evolutionsbiologischen Wissenschaftsbetriebes, sondern eine von Kutscheras durchsichtigen
Wirklichkeitsbeschwörungen. Tatsächlich streiten sich die in unterschiedliche Denkrichtungen zerfallenen Evolutionsbiologen wie die
Pfaffen um die wahre Lehre.
Das beginnt schon mit dem Streit darum, wer eine neue Erkenntnis überhaupt verkünden darf. So meint der schon zitierte Molekulargenetiker
Meyer seinen Kollegen Bauer dafür herabsetzen zu müssen, dass er sich anmaßt, zur bisher unterschätzten evolutiven Bedeutung von
Genomverdopplungen das Gleiche wie er zu sagen. Merke: ›Was ein führender deutscher Evolutionsbiologe darf, darf ein erfolgreicher
Außenseiter noch lange nicht‹. Die Auseinandersetzungen nehmen geradezu groteske Formen an, wenn der international bedeutende
Evolutionstheoretiker Richard Dawkins seine Leser davor warnt, auf Schriften des ebenso bedeutenden Evolutionstheoretikers Stephen
Jay Gould hereinzufallen, weil der im Unterschied zu ihm »schlechte poetische Naturwissenschaft in Reinkultur« verbreiten würde. Goulds
poetisches Vergehen besteht darin, dass er während dramatischer evolutiver Phasen, wie z. B. im Kambrium, auch Makromutationen in seine
Erklärungsmodelle mit einbezieht. Dawkins ist darüber erbost, weil solche »sprunghaften Veränderungen« nicht mit dem von ihm favorisierten
überkommenen gradualistischen Standardmodell der Evolution kompatibel sind. Der amerikanische Molekularbiologe James A. Shapiro bezeichnete
kürzlich das Festhalten an der darwinistischen Evolutionstheorie in einem Interview mit dem Magazin »Natur + Kosmos« (02/2009)
als »schizophren«: »Vielen Biologen ist mehr oder weniger bewusst, dass die konventionelle Sicht nicht mehr zu halten ist. Aber kaum
einer sagt es öffentlich. Es ist praktisch ein Tabu.«
Doch zurück zu Kutschera, der schafft zwar die ›Ismen‹ und damit die konkurrierenden Denkrichtungen in der Evolutionsbiologie per
Akklamation ab, findet aber in seinem Werk selbst großen Gefallen daran, nicht nur ›Ismen‹ zu verwenden, sondern sogar neue zu kreieren.
Er tut also genau das, was er eigentlich verhindern will, nämlich die biologischen ›Ismen‹ noch populärer zu machen. Das beginnt mit der
vielfachen Verwendung von geläufigen Begriffen wie »Lamarckismus«, »Darwinismus« oder »Neo-Darwinismus«, setzt sich fort in der Verwendung
von eher seltenen Begriffen wie »Cuvierismus«, »Mendelismus«, »Weismannismus« oder »Geoffroyismus« und endet in so skurrilen Neuschöpfungen
von Wortungetümen wie »Dobzhanskyismus«, »Dobzhansky-Mayr-Ismus« oder gar »Merezhkowskyismus«. Ferner gibt es sogar eine Kapitelüberschrift,
die nur aus ›Ismen‹ besteht, die angeblich seit Jahren nicht mehr im Gebrauch sind. Es ist ein charakteristisches Merkmal von Kutscheras
Argumentationsstil, dass seine eigene Praxis weit hinter dem elitären Bild zurückfällt, dass er dem Leser von der
Fachdisziplin »Evolutionsbiologie« vermitteln möchte5). Dieser krude Mischung aus einer irrealen Zustandsbeschreibung und seiner eigenen
Disziplinlosigkeit in der Formulierung und Argumentation trägt wesentlich dazu bei, das Buch unbesprechbar zu machen. Fast auf jeder Seite,
ja oft in jedem Satz steht verworrenes oder widersprüchliches. Es übersteigt die Kraft eines jeden Rezensenten, den Sinn dieses fortlaufenden
Unsinnes zu rekonstruieren.
Schrulle 4
Kutschera erklärt uns die Weltgeschichte
Im Kapitel »Eine kurze Zeitreise und das Diluvium« erklärt Kutschera uns im trivialisierenden Jugendbuch-Stil das Leben unserer Vorfahren.
Gleich zu Beginn lesen wir: »In der ›guten alten Zeit‹ als Charles Darwin noch Student war (um 1830) hatten die Menschen im christlich
geprägten Europa keine ›Zeit-Probleme‹. Die durchschnittlich 50 Jahre dauernde Lebenszeit war mit Arbeiten, Beten, Kinderaufzucht und dem
damit verbundenen harten Daseins-Wettbewerb (Struggle for Life) ausgefüllt.« Was an dieser Zeit ›gut‹ und ›alt‹ gewesen sein soll, bleibt
Kutscheras Geheimnis, denn in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhundert strebte in Europa die industrielle Revolution ihrem ersten
Höhepunkt entgegen und zwar mit all ihren negativen Folgen für die Arbeiterschichten. Die Verelendung breiter Bevölkerungsschichten ist
mit »Arbeiten, Beten und Kinderaufzucht«, »ausgefüllter Lebenszeit« und einem »harten Daseinswettbewerb« (Gibt es den nicht schon seit dem
die Menschen aus dem Paradies vertrieben wurden?) nur sehr oberflächlich beschrieben. Stichworte, wie Siechtum, 12-Stunden Arbeitstage,
Kinderarbeit (wurde bezeichnenderweise in England schon 1830 für Kinder unter 9 Jahren verboten), hohe Kindersterblichkeit,
Massenarbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Verschuldung, Verrohung der Sitten und Vereinzelung durch den Zerfall überlasteter Familien sind
unverzichtbar, um nicht fahrlässig, die »gute alte Zeit« zu einer idealisierten Karikatur frommer und arbeitsamer Erfüllung zu verklären.
Begleiten wir Kutschera noch tiefer in die Geschichte: »Vor nur 16 Menschen-Generationen [Jahr 1600] waren unsere in kleinen
Dörfern wohnenden Vorfahren noch an eine weitgehend intakte Umwelt angepasst. Es gab damals z. B. noch Wölfe, Bären und an der heute
von ›zivilisierten Menschen‹ im Mitteleuropa weitgehend ausgerotteten Säugetiere, mit denen sich unsere Vorfahren auseinandersetzen
mussten (Konkurrenz um begrenzte Nahrungsressourcen usw.).« Nun ja, um 1600 war die Umwelt für unsere Vorfahren keineswegs so »intakt« wie
Kutschera vermutet und schon gar nicht kämpften unsere Altvorderen mit Bären (die es damals ohnehin nur noch in entlegenen, unzugänglichen
Regionen gab) um knappe Nahrungsressourcen. Die Bauern litten damals unter der maßlos übertriebenen Jagdleidenschaft ihrer Landesfürsten.
Die Saat oder Ernte auf den Äckern wurde von den Jagdgesellschaften, die rücksichtslos durch Feld und Flur ritten, zerstört oder durch
Rehe und Hirsche aufgefressen. Zudem waren die jagdlichen Frondienste eine drückende Last. Dazu zählten auch aufwendige, von den Jagdherren
angeordnete Treibjagden auf Wölfe, aber nicht – wie Kutschera wohl vermutet – weil sie die Dörfer bedrohten, sondern die Jagdbeute der
Landesfürsten. Diejenigen, die gegen das Jagdrecht verstießen, mussten mit härtesten Strafen rechnen. Kein Wunder, dass das bedrückende
Jagdrecht als eine Hauptauslöser der Bauernkriege gilt.
Gehen wir mit Kutschera noch vier weitere Jahrhunderte in die Geschichte zurück: »Die [...] Naturlandschaft aus dem Jahre 1200, in der noch
relativ kleine, Ackerbau und Jagd betreibende Menschenpopulationen lebten, verliert sich für uns ›in der grauen Vorzeitgeschichte‹«. [...] Es fällt
uns daher heute schwer, in diese natürliche Umwelt europäischer «Eingeborener zurückzukehren, da wir uns buchstäblich ›meilenweit‹ von
diesem ursprünglichen Zustand entfernt haben. »Meilenweit entfernt« ist wiedereinmal Kutscheras Darstellung vom tatsächlichen Zustand der
Landschaft um 1200. Das klimatische angenehme Hochmittelalter (1050-1250) ist das Zeitalter der Siedlungsexpansion und der Ausdehnung der
Ackerflächen bis hin zu landwirtschaftlichen Grenzstandorten. Die dafür notwendigen Rodungsaktivitäten erreichten vielerorts schon Ende
des 12. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Der enormen Ausweitung der Siedlungsräume folgte dann im 14. Jhdt. eine Ära des Niedergangs, die
sogenannte »Agrarkrise des Spätmittelalters«. Sie war durch eine Klimaverschlechterung, Hungersnöte, Pestepidemien und einen damit
verbundenen starken Bevölkerungsrückgang gekennzeichnet. Die Folge war eine Rückeroberung von Siedlungsräumen durch den Wald. Der
Anteil der wüstfallenden Siedlungen betrug in Mittelgebirgslagen über 50 %. Schon dieser kurze Abriss zeigt, dass die Besiedlungsgeschichte
Mitteleuropas keineswegs so linear (je älter desto natürlicher) verlaufen ist, wie Kutschera uns hier weismachen will. Tatsächlich würde
uns die stark kultivierte Landschaft des 12. Jhdts. weniger »ursprünglich« und »natürlich« erscheinen als die von Wüstungs- und Entvölkerungsvorgängen
betroffenen Landschaften der darauf folgenden Jahrhunderte.
Schließen wir Kutscheras »virtuelle Zeitreise« mit seiner Bewertung des gegenwärtigen Zustandes der Landschaft ab: »Autobahnen und Bahngleise
durchkreuzen die Landschaft, so dass für die Tier- und Pflanzenwelt nur noch Inseln übrig bleiben. Großstädte und Industriegebiete, aus denen
die Vegetation fast vollständig eliminiert ist, bieten den Menschen un-natürliche aber bequeme Lebensbedingungen.« Auch hier verbreitet
Kutschera überkommene, sprachlich verfestigte Klischees, die im krassen Widerspruch zu den gesicherten Erkenntnissen ökologischer Experten
stehen: Die sprechen von einer »Landflucht der Arten«, weil die Peaks der biologischen Vielfalt heute im Umkreis der großen Agglomerationen
liegen. Verantwortlich dafür ist die städtische Flächenutzung, die viel heterogener als die moderne agrarwirtschaftliche Nutzung ist. Eine
ausufernde Vorstadtsiedlung oder ein Bahngelände ist für Tiere und Pflanzen allemal attraktiver als ein riesiges Mais- oder Rapsfeld. Und
Autobahnen mögen zwar für manche Arten zerschneidende Wirkung haben, für viele andere sind sie Lebensraum und Ausbreitungskorridor. Der
Bussard, der geduldig auf einem Verkehrsschild sitzt und die Fahrbahnen nach Aas abscannt oder der Fuchs, der in der Morgendämmerung eine
innerstädtische Straße auf dem Weg zu seinem Tageseinstand in einer Parkanlage überquert, sind vielerorts schon ein vertrautes Bild. Zweifelsfrei
bieten die verstädterten Lebensräume nicht nur dem Menschen sondern, auch der Tier- und Pflanzenwelt »bequeme Lebensbedingungen«. »Un-natürlich« erscheinen
sie nur bei oberflächlicher Betrachtung, wenn mit »natürlich« nicht die originären ökologischen Ansprüche einer Art gemeint sind, sondern die rückblickend
als »natürlich« verklärten Umwelten der vorindustriellen Kulturlandschaft. Das ist aber eine Geschichte, die bereits in einem
anderem Zusammenhang erzählt wurde.
Schrulle 5
Wenn der große Vorsitzende einen »kleinen Fehler« einräumt...
Im Kapitel »Der blinde Käfermacher: Warum gibt es so viele Coleopteren auf der Erde?« zitiert Kutschera – sich wie immer ungeniert als
Forscher mit hohem internationalen Renommee darstellend – aus einem Interview, das er »im Februar 2007 in San Francisco Kalifornien (USA)
am Rande einer internationalen Wissenschaftskonferenz« gegeben hatte: »Der Schöpfer war ein Käfermacher! Warum sonst hätte er Hunderttausende
verschiedene Käferspezies erschaffen ... und nur etwa 4600 Säugetierarten zustandegebracht? Der Kreationismus liefert dazu keine Antwort, die
moderne Evolutionstheorie sehr wohl.« Erläuternd fügt er hinzu: »Da das Interview im auflagenstarken Magazin Stern [...] unter der
Überschrift ›Der Schöpfer ist ein Käfermacher‹ veröffentlicht wurde, erhielt ich bald darauf zahlreiche Protestbriefe bibelgläubiger
Bundesbürger, die sich bei mir u. a. über diesen ›arroganten gottlosen Käfermacher-Ausspruch‹ beschwert haben.« Im darauf folgenden
Kapitel »Fehlerkorrektur: Von Elefantenherden und Käferhorden« korrigiert Kutschera dann einen »kleinen Fehler«, der ihm in dem Interview
unterlaufen wäre: »Die von mir damals aus dem Gedächtnis wiedergegebene Säuger-Artenzahl von 4600 stammt aus dem Jahr 1993. 15 Jahre
später (2008) waren bereits rund 5480 Säugetierspezies beschrieben.« Was hier auf den ersten Blick wie eine zwar belanglose, für Kutschera
allerdings schon bemerkenswerte Einsicht in die eigene Fehlbarkeit aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als gewieftes Manöver,
mit dem er von gezielt irreführenden Behauptungen in seinem Interview ablenkt.
Kutschera hatte in dem Interview – vermutlich aus Ärger über den Erfolg eines ihm verhassten evolutionskritischen Lehrbuches – behauptet:
»Ich habe die Kopie eines Briefs in meinen Unterlagen, in dem ein Wort- und Wissen-Mitglied einen Schulleiter explizit darum bittet, dieses
Buch in der Schulbibliothek zu deponieren, es zu verwenden, und der sogar anbietet, Geldspenden an die Schulen zu geben. Unter der Auflage,
dass dieses ›hervorragende Buch‹ doch bitte schön benutzt wird.« Eine glatte Falschinformation, wie sich später herausstellte. Nachdem die
evangelikale Studiengemeinschaft »Wort und Wissen« sich gegen diese »unwahre Behauptung« verwahrt hatte und sowohl Kutschera als auch dem
von ihm instrumentalisierten Magazin Stern rechtliche Schritte angedroht hatte, beeilte sich der Geschäftsführer der AG Evolutionsbiologie
Martin Neukamm, die Falschdarstellung auf der AG eigenen Website zu korrigieren: »Zu den genannten Vorwürfen ist zunächst festzustellen,
dass in dem Interview, welches in San Francisco auf Tonband aufgezeichnet wurde, tatsächlich zwei irrtümlich erhobene Behauptungen abgedruckt
wurden: Zwar liegt uns ein Brief vor, aus dem hervorgeht, dass ein Mitglied von Wort und Wissen einem Gymnasium ein kostenloses Exemplar
des ›evolutionskritischen Lehrbuchs‹ von Junker und Scherer zur Verfügung stellte. Von Geldspenden ist dort aber nicht die Rede. Des Weiteren
war die Bücherspende nicht, wie behauptet wurde, an einen Zweck gebunden - tatsächlich ging die Schule mit der Annahme der Spende keinerlei
Verpflichtungen ein. Wir bedauern diesen Irrtum und haben die Redaktion des ›Stern‹ bereits um eine Richtigstellung gebeten.«
Wir sehen, dass der große Vorsitzende sich in seinem ›Tatsachenwerk‹ über die von ihm in die Welt gesetzten, wirklich gravierenden und der
Richtigstellung bedürftigen Falschinformationen ausschweigt. Stattdessen berichtet er lieber – weil das besser zu seiner selbstgefälligen
Kampagne passt – über Protestschreiben, in denen »bibelgläubige Bundesbürger« sich angeblich bei ihm über seinen »arroganten gottlosen
Käfermacher-Ausspruch« beschwert hätten. Ich vermute, dass die meisten Beschwerden nicht seinen Ausspruch, sondern seine gezielte
Falschinformation betrafen. Dafür spricht auch, dass die Geschichte vom (blinden) Käfermacher nicht originell ist, sondern eine
Verballhornung von Richard Dawkins Bestseller-Titel »Der blinde Urmacher« und einem Bonmot des berühmten Biologen J. B. S. Haldane (1892–1964).
Als der einmal gefragt wurde, was ihm seine biologischen Studien über Gott gelehrt hätten, soll er geantwortet haben: »Der Schöpfer, falls er
existiert, muss eine ganz außergewöhnliche Vorliebe für Käfer gehabt haben, denn es gibt mehr Käferarten als Arten irgendeiner anderen
Tiergruppe.« Mir ist nicht bekannt, dass Dawkins Bestseller-Titel oder Haldanes pfiffige Bemerkung die Gefühle irgendeines »bibelgläubigen« Christen
verletzt haben. Im Gegenteil, sogar der versierte, schöpfungsgeschichtlich motivierte Evolutionskritiker Wolf-Ekkehardt Lönnig sieht die Sache
sportlich und liefert eine verblüffend einfache Erklärung für die vielen Käferspezies. Sie lautet: Wir haben diese riesige Artenzahl bei den
Käfern, weil die Systematiker jahrhundertelang jede unterscheidbare Population von Mendelschen Rekombinanten als eigene Arten beschrieben haben.
Und solange Systematiker genetische Rekombinanten als eigenständige Arten beschreiben, dürfte der Schöpfer ein Käfermacher bleiben.
Schrulle 6
»Evolution ist eine Tatsache, das Schnabeltier existiert.«
Schrulle 7
›Den Elefanten zu wenig Zähne gemacht‹
Fortsetzung folgt...
Anmerkungen
1) Kreativität ist nicht die Sache Kutscheras. Dass zeigt sich schon beim von ihm gewählten Titel, der wohl eine Kombination von
Ernst Mayrs populären Credo »Evolution ist eine Tatsache« und Gerd & Heidi von Wahlerts Buch »Was Darwin noch nicht wissen
konnte« (ebenfalls bei DTV erschienen) ist. Alternativ könnte er den Untertitel auch von dem 2004 verfilmten
Vortragstitel »Was Darwin nicht wissen konnte« des schöpfungsgeschichtlich motivierten Evolutionskritikers
Siegfried Scherer (TU München) abgekupfert haben. Da der renommierte Molekulargenetiker Scherer zu den beliebtesten Zielobjekten
von Kutscheras antikreationistischen Attacken zählt, wäre das nicht nur unoriginell, sondern auch noch geschmacklos.
2) Diese Botschaft ist trivial, wenn sie darauf abhebt, dass der Wissenschaftsbetrieb ein naturalistisches Unternehmen ist
und naiv, wenn
sie meint, dass sich wissenschaftliche Forschung ausschließlich über eine objektiv erfassbare Wirklichkeit und nicht ebenso über
philosophische Grundüberzeugungen und andere gesellschaftliche Verwicklungen definiert.
3) Meyer hat seine vernichtende Kritik an Bauer im Laborjournal (1-2/2009) unter dem Titel »Nonstop Nonsens« und in seiner
Handelsblatt-Kolumne »Quantensprung« vom 04.12.2008 unter der Überschrift »Dummes Zeug über Darwin« veröffentlicht. Zur
Entstehungsgeschichte dieser Rezensionen gibt der Chefredakteur des Laborjournals Ralf Neumann in einer Auseinandersetzung mit
Bauer auf einem österreichischen Scienceblog etwas unbeabsichtigt interessante Hintergrundinformationen preis.
4) Die Unterstellung, dass Gläubige randalieren, ist für Kutschera eine beliebte Polemik. Er hat sich ihr schon früher bedient, um Vorurteile zu schüren
oder auch seine mangelnde Courage zu verbergen, sich mit Kreationisten öffentlich auseinander zu setzen. Im Magazin »Der Spiegel« (52/2005) behauptet
er z. B.: »Wenn die Zeugen Jehovas in den Saal kommen, dann kann ich einpacken. Die stören und rufen rein, bis keine Diskussion mehr möglich
ist.« Dahinter verbirgt sich keine konkrete Erfahrung, sondern wohl eher die Befürchtung, dass ruchbar werden könnte, dass der Vorsitzender der
AG Evolutionsbiologie aus Mangel an fachlichem Selbstvertrauen die öffentliche Diskussion mit Kreationisten scheut.
5) Im Kapitel »Darwins Korallen und das moderne Baum-Denken« stellt Kutschera in (mit dem selben Brustton der Überzeugung,
wie bei seiner Abschaffung der ›Ismen‹) fest: »Alt-Darwinsche Begriffe wie ›primitiv‹, ›höher‹ oder ›Perfektionierung‹ existieren seit
Jahrzehnten in der Evolutionsbiologie nicht mehr«. Selbst wenn wir großzügig davon absehen, dass dies keine »alt-Darwinschen« Begriffe
sind, weil Darwin selbst es war, der vehement vor der Annahme einer »Höherentwicklung« warnte, irritiert uns Kutschera, wenn er nur
wenige Seiten später formuliert: »Neben dem Schnabeltier (...) lebt in Australien ein zweiter Eier legender primitiver Säuger...«. Wer
offenbar nicht weiß, was er wenige Seiten vorher verkündet hat, sollte sich hüten, das Buch einen missliebigen Kontrahenten gezielt
missverständlich als »wirre Sachbuch-Spekulationen eines Alzheimer-Forschers« zu bezeichnen.
G.M., 18.07.2009