›Des Kaisers neues Lehrbuch‹ – Einige randständige Bemerkungen zu der ersten und zweiten Auflage von Kutscheras Lehrbuch »Evolutionsbiologie«
Fast ein Jahr lang habe ich gezögert, mir die zweite Auflage von Kutscheras Lehrbuch »Evolutionsbiologie« zuzulegen. Die erste vom
Umfang magere, vom Inhalt lückige und von der Gestaltung schlichte Auflage motivierte kaum, sich noch eine weitere Auflage dieses Werkes zuzumuten. Wann
immer ich einen relevanten evolutionsbiologischen Sachverhalt genauer und differenzierter betrachten wollte, war ich gezwungen, in Junkers & Scherers
kritischem Lehrbuch »Evolution« nachzuschlagen. Ja noch heute bin ich verwundert, wie es Kutschera gelungen ist, für die erste Auflage seines
Kurzlehrbuches einen Verlag zu finden. Vielleicht hat den Ausschlag gegeben, dass Kutschera sich durch seine heftigen öffentlichen Attacken gegen deutsche
Kreationisten einen gewissen Bekanntheitsgrad erarbeitet hatte und sich in den beiden letzten Kapiteln seines Buches dieser Thematik annimmt. Mag sein, dass
dem Parey Buchverlag das unternehmerische Risiko deshalb kalkulierbar erschien. Kutschera selber bemerkt: »Die Darstellung und Offenlegung
eines bisher tabuisierten Problems hat zur weiten Verbreitung dieses Buches beigetragen«. Im Klartext bedeutet dies: Kutschera verdankt seinen
publizistischen Erfolg wohl weniger den eher dürftigen evolutionsbiologischen Inhalten seines Buches als der populistischen, für ein naturwissenschaftliches
Lehrbuch eher ungewöhnlichen Auseinandersetzung mit dem Kreationismus.
Auf seiner universitären Website preist Kutschera die erste Auflage seines Kurzlehrbuches damit an, dass es ca. 15 Mal in
verschiedenen Fachzeitschriften positiv rezensiert wurde. Da Kutschera hinsichtlich seiner fachlichen Kompetenz keine Zweifel und deshalb bei seiner
Selbstvermarktung auch keine Skrupel kennt, lohnt sich hier genauer hinzuschauen. Folgendes fällt auf: Drei der »Fachzeitschriften« sind regionale
und überregionale Tageszeitungen. Darunter die sozialistische Tageszeitung »Neues Deutschland«, die vor der Wende als Propagandawerkzeug der SED diente.
Positive Besprechungen in Tageszeitungen steigern zwar die Verkaufszahlen, sind aber nicht dazu geeignet, die Qualität eines naturwissenschaftlichen Fachbuches
zu dokumentieren. Dies betrifft auch die Rezension in dem nur in geringer Auflage erscheinenden Magazin »Pterodactylos«. Hinter diesem Namen
verbirgt sich das »erste deutsche Magazin zur Kryptozoologie, Paläontologie und Evolutionsforschung«. Den Herausgeber interessieren nach eigenem Bekunden am
meisten »die Rätsel um Bigfoot, Yeti und Nessie«. Hier fragt sich, wie die Veröffentlichung dieser positiven Kurzrezension aus einem parawissenschaftlichen Insiderblättchen auf
der offiziellen Website der Universität Kassel mit Kutscheras erbitterten Kampf gegen wissenschaftliche Institute
zusammenpasst, die kreationistischer Evolutionskritik eine Plattform bieten (vgl. die Affäre Kutschera gegen Lönnig/Max-Planck-Institut)?
Daraus kann man doch nur folgern, dass er offenbar keine Skrupel kennt, sein Credo zu ignorieren, wenn es um Verbreitung seiner Werke, also seinen Ruhm geht.
Ferner befinden sich unter Kutscheras so genannten »Fachzeitschriften« schulbiologische Zeitschriften (z. B. Biologie heute oder Praxis der Naturwissenschaften),
Zeitschriften für biologische Spezialgebiete (z. B. Mikrokosmos oder Journal of Ornithologie) und eine biologiepraktische Zeitschrift (Gesunde Pflanzen). Erstaunlichweise aber keine einzige
ausgewiesene evolutionsbiologische Publikation. Fünf der Rezensenten stammen aus dem engeren Umfeld des Kutschera-Clubs (AG
Evolutionsbiologiemitglieder Hossfeld, Jacobsen, Junker (2x), Mahner u. Neukamm). Positive Besprechungen sind hier wohl eine Erfordernis des gemeinsamen Kampfes gegen
Kreationisten oder auch eine Sache der Kollegialität. Eine rühmliche Ausnahme bildet Mahners Rezension im »Skeptiker«, einer Zeitschrift für
Wissenschaft und kritisches Denken. Der scheut sich nicht, Schwächen und Fehler in Kutscheras Buch deutlich anzusprechen. Kutschera zitiert auf seiner Website auch
Mahner, aber so verkürzend bzw. verfälschend, dass von der Kritik nichts zu lesen ist. So verbirgt sich hinter drei Pünktchen in der zensierten
Website-Version folgende aufschlussreiche Passage aus Mahners Originalrezension: »Neben den positiv zu vermerkenden Aspekten weist das Buch
aber leider auch Schwächen auf, die geeignet sind, sein lobenswertes Anliegen zu beeinträchtigen. Zunächst macht das Buch den Eindruck, als sei es unter
großem Zeitdruck zustande gekommen. So wirkt die Präsentation oft etwas gehetzt, und manchmal folgen Abschnitte verschiedenen Inhalts überleitungslos
aufeinander, sodass nicht immer klar ist, was das eine mit dem anderen zu tun hat, warum gerade dieser Aspekt wichtig ist oder worauf der Autor damit später
hinaus will. Vielleicht haben sich auch deshalb einige sachliche Fehler eingeschlichen (…)«.
Bei der Rezension in der renommierten Naturwissenschaftlichen Rundschau stößt auch Kutscheras ›Schnippelverschönerungsmethode‹ an
ihre Grenzen. Darin werden die Schwächen des Lehrbuches so schonungslos aufgezeigt, dass Kutschera sich offenbar gezwungen sah, auf ihren Abdruck gleich vollständig zu verzichten.
Stattdessen hat er – ein wohl einmaliges Vorgehen – eine Richtigstellung zu der Rezension auf seiner Website eingestellt! Wer so unverfroren mit Kritik umgeht, muss ein tiefes Misstrauen gegen seine Leser haben. Zumindest fürchtet er, dass
diese sich ein eigenes, von ihm nicht manipuliertes Urteil bilden können. Tatsächlich kommt der Bielefelder Biologe Andreas Schmidt-Rhaesa zu
einer wenig schmeichelhaften Bewertung des Lehrbuches. Zwei zentrale Kapitel (»Stammbaumanalyse und molekulare Uhren« sowie »Rekonstruktion der Phylogenese
durch Beobachtung und Vergleich«) bezeichnet er schlicht als »misslungen« und fügt erläuternd hinzu: »So schwanken Kapitel 7 und 8 zwischen phylogenetischem
und typologisch-klassifikatorischem Vokabular hin und her. Auch die Darstellung molekularer Methoden ist verwirrend«. Schmidt-Rhaesa resümiert wie
folgt: »Die Auswahl von Themen für ein kurzes Lehrbuch zur Evolutionsbiologie ist mit Sicherheit extrem schwierig. Ob es sich ein modernes Buch aber leisten
kann, Gebiete wie die Phylogenetische Systematik, Kladistik, Biogeographie, Populationsgenetik, Grundlagen der molekularen Evolution, molekulare Systematik
oder den Artbegriff auszulassen, ist fraglich«. Was Herr Schmidt-Rhaesa hier in vorsichtig-zurückhaltender Weise formuliert
hat, heißt wohl im Klartext: Fast alles Wichtige fehlt!
Mein Sinneswandel bezüglich der Frage, ob es sich lohnt, mir die zweite Auflage zuzulegen, setzte ein als mich der Intelligent
Design-Theoretiker Markus Rammerstorfer darauf aufmerksam machte, dass Kutschera auf der Website der AG Evolutionsbiologie einen neuen antikreationistischen
Diskussionsbeitrag eingestellt hat. Sein Titel lautet »Gegendarstellung zum Wort-und-Wissen-Beitrag 6/06. Was ist ein Lehrbuch?«. Diese
Streitschrift ist eine Reaktion auf den Beitrag »Punkt für Punkt widerlegt?« des kreationistischen Lehrbuchautors Reinhard Junker.
Der stellt darin einige wenig stichhaltige Behauptungen und nicht nachvollziehbare Verdrehungen Kutscheras zu den Inhalten des kritischen Lehrbuches »Evolution« richtig. Kutschera
hatte sich zuvor damit gerühmt (auf gerade einmal 18 Seiten seiner ›Evolutionsbiologie‹!), die Aussagen des (300 Seiten umfassenden!) kritischen
Lehrbuches von Junker & Scherer »Punkt für Punkt« widerlegt zu haben. Kutschera nutzt seine Entgegnung dazu, grundsätzlich klar zu stellen,
»was man üblicherweise unter einem ›Lehrbuch‹ versteht«. Wie nicht anders zu erwarten, kommt er zu dem Ergebnis, dass sein Lehrbuch die gestellten
Anforderungen erfüllt, während von den schöpfungsgeschichtlich motivierten Lehrbuchautoren Junker & Scherer die »genannten Prinzipien
und Grundsätze [...] offensichtlich nicht eingehalten« werden. Diese allzu selbstgefällige Evaluierung, die augenscheinlich von dem Ziel getragen ist, Junkers
& Scherers kritisches Lehrbuch zu disqualifizieren und diffamieren, lohnt näher betrachtet zu werden, weshalb für mich der Kauf der zweiten Auflage
unvermeidlich war!
Kutschera hat die Kriterien dafür, was man »üblicherweise« unter einem »seriösen Lehrbuch« versteht, so formuliert, dass
sie a) zielgenau auf die 2. Auflage seines Lehrbuches »Evolutionsbiologie« zugeschnitten sind und b) Junkers & Scherers kritisches Lehrbuch als
unseriös einstufen. Dabei hat er allerdings übersehen oder in Kauf genommen, dass auch die erste Auflage seines Lehrbuches die von ihm formulierten Anforderungen
nicht erfüllt. So fordert Kutschera, dass der Autor in dem Gebiet, über das er ein Lehrbuch schreibt, eigene Forschungsarbeiten publiziert hat. Bis
2001 hat Kutschera selbst jedoch gar keine erkennbaren Fachbeiträge zum Thema »Evolution« publiziert. So tauchen in seiner umfangreichen, im Internet
veröffentlichten Publikationsliste erstmalig ab 2001 Beiträge auf, die eindeutig auf evolutionsrelevante Themen hinweisen*. Sollte dies der Grund
dafür sein, dass Kutschera in die Literaturliste der ersten Auflage keine Zeitschriftenaufsätze aufgenommen hat? Wie dem auch sei, immerhin sind in
den Abbildungslegenden 6 Aufsätze von ihm zitiert. Dabei handelt es sich um Studien, in denen es vorrangig um die Fortpflanzungsbiologie und Brutfürsorge
bei seinen »Lieblingstieren«, den Egeln geht. Deren Vermehrungsstrategien werden auch im »Lichte der Evolution« betrachtet. Auf seiner universitären
Website versucht Kutschera, diese randständige Beschäftigung mit evolutionären Fragen nachträglich zu einem
evolutionären Forschungsprogramm zu stilisieren. Damit kann er aber nur notdürftig verschleiern, dass er selber die von ihm für einen Lehrbuchautor
formulierten Anforderungen nicht erfüllt.
Als weitere Voraussetzung für die Erstellung eines seriösen Lehrbuches fordert Kutschera, dass »ein berufener, in der akademischen
Lehre erfahrener Universitätsprofessor« seine »über Jahre hinweg erstellten, auf Originalliteratur basierenden Vorlesungsaufzeichnungen« zusammen schreibt
und »einem Fachverlag« anbietet. Diese Anforderung zielt darauf ab, Junker, der nicht an einer Universität arbeitet und Scherer, dem an der TU
München das Lehrgebiet »Mikrobielle Ökologie« anvertraut ist, als Lehrbuchautoren zu disqualifizieren. Wie sieht es aber um Kutschera
selber aus? Im Lehrgebiet »Pflanzenphysiologie« mag er ein berufener und erfahrener Universitätsprofessor sein, aber zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
der ersten Auflage seines Lehrbuches »Evolutionsbiologie« war er dies in dem, ihm erst Ende 2001 übertragenen Lehrgebiet »Evolution« sicherlich nicht.
Nach eigenen Angaben hatte Kutschera in 1997/1998 einige öffentliche Vorträge zum Thema »Evolution und Kreationismus« gehalten. Ferner war er
ab 1999 von Studenten gebeten worden, ersatzweise (ein Kollege war emeritiert worden und den anderen war die Aufgabe wohl lästig…) jeweils im Sommersemester
eine doppelstündige Evolutionsvorlesung zu halten. Kaum zwei Jahre später hat Kutschera seine »ausformulierten Vorlesungsaufzeichnungen« mit ›Buchdeckeln‹ versehen und
einem Verlag angeboten. Auch hier erfüllt sein eigenes Lehrbuch seine eigenen Kriterien nicht, denn hier hat ein Anfängerprofessor im Lehrgebiet »Evolution«
eine Vorlesung für Anfängerstudenten in ein Lehrbuch verwandelt.
Kutschera hat bei seinem erbitterten Kampf gegen schöpfungsgeschichtlich motivierte Wissenschaftler und deren Produkte offenbar
vergessen, dass er selbst ziemlich ›nackt‹ dasteht. Um seine eigenen Schwächen offen zulegen, braucht man daher nur seinen Argumentationsstil auf ihn selber
anwenden. Wer einigermaßen unvoreingenommen die erste Auflage von seinem Lehrbuch Evolutionsbiologie mit dem kritischen Lehrbuch »Evolution« von Junker
& Scherer vergleicht, wird feststellen, dass zwischen beiden Lehrbüchern Welten liegen. Dies zeigt schon ein Vergleich der Anzahl der
Stichworte im Sach- und Personenregister. In Junkers & Scherers kritischem Lehrbuch sind es mehr als doppelt so viele als in Kutscheras Evolutionsbiologie. Viele wichtige evolutionsbiologischer Forschungsfelder, wie z. B. homeotische
Regulatorgene, die ein zentrale Rolle bei der Gestaltbildung spielen oder Buntbarsche, an denen die explosive Artbildung bei Wirbeltieren studiert wird,
kommen gar nicht vor, andere Bereiche, wie die molekulare Phylogenetik und Systematik oder die Artbegriffe werden nur rudimentär oder stark verkürzt
dargestellt. Kutscheras allgemeine Einführung ist so lückig, dass man sie nicht einmal guten Gewissens einem Oberstufenschüler empfehlen kann.
Vergleicht man sein Lehrbuch mit der knapp gefassten »mentor Abiturhilfe Evolution« so wird deutlich, dass einige Kapitel (z. B. dasjenige über die
Evolution des Menschen) wahrscheinlich nicht einmal ausgereicht hätten, das Abitur zu bestehen. Und so resümiert Mahner, der Kutscheras
vorrangiges Anliegen, die deutschen Kreationisten zu attackieren, grundsätzlich unterstützt, in seiner schon erwähnten Rezension im Skeptiker wie folgt:
»Es ist jedoch zu befürchten, dass das Buch aufgrund seiner Mängel nicht den Erfolg haben kann, den sein Anliegen im Prinzip verdient. So bleibt zu hoffen,
dass es bald in einer zweiten Auflage überarbeitet werden kann«.
Die von Mahner erhoffte zweite Auflage liegt nun seit 2006 vor. Kutschera hat darin, die meisten der von seinen kritischen
Rezensenten angemahnten Schwächen und Auslassungen beseitigt. Ein wesentlicher Mangel bleibt allerdings bestehen und der besteht in dem ausgesprochen schlicht
naturalistischen Wissenschaftsbild, das von Kutschera vermittelt wird. Kutschera ist – wie er in einem Interview mit der
Zeitschrift »factum« (1/2003) einmal überdeutlich formulierte – davon überzeugt, dass in der Biologie als Naturwissenschaft »nur reale Dinge
erforschbar sind und Bausteine von Theorien« werden können. Das ist eine primitive Auffassung, die meilenweit von jedweder Erkenntnis moderner
Wissenschaftstheorie entfernt ist. Man kann Kutschera nur dringendst empfehlen, sich bei modernen Wissenschaftsphilosophen zu informieren, z. B. bei
Rheinberger, H.-J. (2006): »Epistemologie des Konkreten. Studien zur Geschichte der modernen Biologie«.
Da kann er dann nachlesen, dass die Gegenstände wissenschaftlicher Forschung nicht einfach, wie Ostereier im Nest herumliegen oder real vorhanden sind,
sondern von der wissenschaftlichen Forschung konstruiert werden. Die Objekte der Wissenschaft sind keine realen Gegenstände, sondern immer epistemische
Konstruktionen. Anders formuliert: Die Fakten, seien es nun gut bestätigte Evolutionstheorien oder gar unstrittige Interpretationen geologisch überlieferter
Fossilien sind gemacht. »Un fait est fait« wie der französische Wissenschaftsphilosoph Gaston Bachelards
einmal in einem Bonmot sagte. Jeder reflektierte Wissenschaftstheoretiker ist daher heute bereit zuzugeben, dass in allem Wissen auch immer Glauben ist.
Diese aufklärerische Devise ist Kutschera fremd, weil für ihn der ›Glauben‹ die Trennlinie zwischen naturalistischer
Wissenschaft und supranaturalistischem Kreationismus bildet. Doch hier sitzt Kutschera einem ›Köhlerglauben‹ auf.
In einem alten Lexikon habe ich über den ›Köhlerglauben‹folgendes gelesen: »Ein Köhler wurde von einem Theologen gefragt, was er
glaube? Er antwortete: ›Was die Kirche glaubt‹. Und auf die weitere Frage, was die Kirche glaube, antwortete er: ›Was ich glaube!‹«. Ein solcher, lediglich
auf die Aussagen anderer beruhender, unbedingter blinder Glaube wird nach dieser Legende auch als ›Köhlerglaube‹ bezeichnet. Auf Kutschera übertragen, würde man die Geschichte wie folgt
formulieren: Er glaubt, was die Evolutionsbiologie glaubt. Und auf die Frage, was die Evolutionsbiologie glaubt, würde er antworten, was in meinem Lehrbuch steht.
Wie wirkt sich nun Kutscheras ›Köhlerglaube‹ auf die Inhalte seines Lehrbuches aus? Darin neigt er dazu,
konkurrierende Theorien entweder kommentarlos nebeneinander zu stellen (und eben nicht auf die historischen Implikationen ihrer jeweiligen Bevorzugung zu
rekurieren) oder sich ziemlich willkürlich für eine Theorie als »gesicherte Erkenntnis« zu entscheiden. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die Entwicklung
des Vogelfluges. Nach einer schematischen Abbildung in Kutscheras neuem Lehrbuch hat er sich über den Flatterflug entwickelt.
Tatsächlich gibt es aber auch viele Wissenschaftler, die den Gleitflug als Vorform des freien Fluges für
wahrscheinlicher halten. Der führende amerikanische Forscher für gefiederte Dinosaurier Mark Norell kommentiert in seinem 2007 erschienenen Buch »Auf
der Spur der Drachen - China und das Geheimnis der gefiederten Dynosaurier« wie folgt: »Eine Fülle von Befunden spricht für bzw. gegen die eine wie die andere dieser beiden Hypothesen. Leider gibt es nur
wenige strenge Tests, und häufig spielt bei der Antwort auf die Frage nach der Entwicklung des Fluges ein tiefsitzender, fast religiöser Glaube an die eine
oder andere These eine Rolle«.
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* Unter »erkennbar evolutionsrelevanten Beiträgen« werden hier Beiträge verstanden, in denen der Titel einen evolutionsrelevanten Begriff (z. B. Evolution, molekulare
Phylogenetik, Sequenzanalyse, Endosymbiose, Ursprung) enthält oder Beiträge, die in einer evolutionsbiologischen Zeitschrift (z. B. »Trends in Ecology« and Evolution«, »International Journal of Systematic and
Evolutionary Microbiology« oder »Evolutionary Biology«) veröffentlicht worden sind.
G.M., 10.03.2007