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Von einem ›Sprachnörgler‹ und seinem Kritiker

»Der Sprachrechthaber-Berichtiger« Anatol Stefanowitsch (Foto: Ben Stefanowitsch)

Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch gilt als echter Fachmann in Sachen Linguistik. In 2007 hat er mit dem Bremer Sprachblog den ersten sprachwissenschaftlichen Blog in deutscher Sprache gestartet. Darin hat er sich nach eigener Darstellung bemüht, der Öffentlichkeit das Thema »Sprache« aus fachlich fundierter Perspektive näher zu bringen und den apokalyptischen Visionen vom Untergang der deutschen Sprache (z. B. durch den vermehrten Gebrauch englischer Lehnwörter) etwas entgegenzusetzen. Seit 2010 setzt er die Tradition des Bremer Sprachblogs im Sprachlog, auf der Wissenschaftsblogplattform SciLogs fort. Mit dem ist er so erfolgreich, dass es ihm im November 2011 gelang, sich an die Spitze der deutschen Wissenschaftsblog-Charts zu setzen und den in den letzten Jahren unangefochtenen Spitzenreiter-Blog Astrodictum simplex des wissenschaftspopulistischen Turbobloggers Florian Freistetter (›Wissenschaft ist toll, Homöopathie ist ekelhaft!‹), vorübergehend auf den zweiten Platz zu verdrängen.

Das Ziel von Stefanowitsch‘ kritischen Analysen und Attacken sind sogenannte ›Sprachnörgler‹, die sich in der deutschen Öffentlichkeit als Sprachschützer und -rechthaber positionieren. Er setzt dagegen, dass »alle Sprachgewalt vom Volke ausgeht«. Den ›Sprachnörglern‹ empfiehlt er, statt das Sprachvolk zu bevormunden, das Spiel der Sprache mitzugestalten, »indem sie die Wörter verwenden, die ihnen in der jeweiligen Situation am ausdrucksstärksten erscheinen«. Allerdings wirkt er bei der Beurteilung von sprachlichen Fragen häufig selbst etwas puristisch, da es für ihn nur eine gültige Meinung zu geben scheint, nämlich seine. Und von der ist er so überzeugt, dass er dazu neigt, wie ein besorgter Leser seines Blogs formulierte, die »Gegenseite« als »nur aus Vollidioten bestehend« hinzustellen, denen »jeglicher Sachverstand abgeht«. Da niemand perfekt ist und wissenschaftliche Blogposts ähnlich journalistischen Artikeln in der Regel wenig Vorlauf- bzw. Recherchezeit haben, bleiben Fehleinschätzungen nicht aus. Auch ein versierter Blogger läuft bei einem allzu rabiaten Umgang mit der »Gegenseite« Gefahr, bei Zeiten selbst auf Grundeis zu laufen.

Ein solches Missgeschick ist ihm in seinem Blogpost »Die unverbesserliche Seichtigkeit der Sprachnörgler« vom 28.05.2011 unterlaufen. Darin kritisiert und verspottet er am Beispiel des freien Autors, Trainers für kreatives Schreiben und gelernten Automobilkaufmanns Andreas Busch »die ganze lange und trübsinnige Tradition der Sprachnörgelei«. Busch hatte kurz zuvor auf der Website zehn.de den Beitrag »Die 10 am häufigsten falsch verwendeten Wörter« veröffentlicht, ein Beitrag, der auch von der Bildzeitung aufgegriffen wurde. Darin führt er – sicherlich für viele Leser überraschend – so geläufige Begriffe wie Sympathie, Reifenwechsel, sorgen, Kult, Busen, verstorben und wollte an. Kein Wunder, dass Busch für diese Liste von einigen Kommentatoren auf zehn.de und Bild.de schon reichlich Prügel (»Gequirlte Scheiße«, »Korinthenkacker«…) einstecken musste. Sie war aber auch eine Steilvorlage für Stefanowitsch, der sie zum Anlass nimmt, anhand der aufgeführten Begriffe nochmal grundsätzlich klarzustellen, dass ›Sprachnörgler‹ sowohl »die Komplexität von Sprachen als auch die Intelligenz von Sprecher/innen« unterschätzen.

Insbesondere seien für ›Sprachnörgler‹ drei Vorstellungen nicht fassbar: »Erstens, Sprache verändert sich. Zweitens, Wörter (und andere sprachliche Zeichen) können mehr als eine Bedeutung haben. Drittens, Verstehen besteht nicht in einem mechanischen Dekodieren von Wortbedeutungen, sondern in einem aktiven Deuten von Äußerungen in konkreten Situationen und im sprachlichen Zusammenhang.« Daran anknüpfend macht Stefanowitsch an den Begriffen sorgen (soll laut ›SprachnörglerBusch nur mit der Bedeutung ›sich um jemanden kümmern‹ verwendet werden), Kult (soll laut Busch nur in seiner ursprünglichen Bedeutung ›religiöses Ritual‹ verwendet werden) und Busen (soll laut Busch nur für seine angebliche Ursprungsbedeutung ›das Tal zwischen den Brüsten‹ verwendet werden) deutlich, dass es weder wünschenswert noch machbar sei, den Wandel der Bedeutung eines Begriffes aufzuhalten und ein solches Vorhaben schon daran scheitern müsse, dass es gar nicht möglich sei, bei einem Wort eine Ursprungsbedeutung zu finden, der keine weiteren Bedeutungen vorausgehen.

Soweit so gut, doch dann versteift sich Stefanowitsch darauf, dass Busch beim Wort Busen nicht einmal einem »etymologischen Fehlschluss« aufgesessen sei. Das Wort Busen habe zwar vor nicht allzu langer Zeit eine Bedeutungsveränderung durchlaufen, aber nicht die, die Busch uns weismachen wolle: »Das Wort bezeichnete nämlich bis in die (sprachgeschichtlich betrachtet) jüngere Zeit jede menschliche Brust, ob männlich oder weiblich.« Dies habe sich z. B. im Wort Busenfreundin der Bedeutung ›bester Freund‹ nicht in der Bedeutung ›Leser von Herrenmagazinen‹«) überliefert. Busch hatte dagegen behauptet: »Einen schönen Busen haben viele Frauen. Schöne Brüste haben sie deswegen noch lange nicht. Wo liegt der feine Unterschied? Antwort: In der Mitte liegt er, genau in der Mitte. Denn der Busen ist in seiner Ursprungsbedeutung nichts anderes als das Tal zwischen den Brüsten. Das Dekolleté, mit anderen Worten.« Stefanowitsch kommentiert: »Ich weiß nicht, woher Busch diese Fehlinformation hat, aber wenn man den etymologischen Fehlschluss schon in spracherzieherische Vorschriften ummünzen will, dann sollte man sich die Etymologie der betreffenden Wörter vorher kurz ansehen.«

Im festen Glauben, Busch bei einem schweren Versäumnis erwischt zu haben, belässt er es nicht bei dieser sachlichen Kritik und legt spöttisch bis beleidigend nach: »Der etymologische Fehlschluss lässt Sprachnörgler schon für sich genommen eher verstaubt als gelehrt wirken, aber wenn man ihn mit falschen Etymologien vermischt, die man auf der Rückseite einer Cornflakespackung oder in einem Glückskeks gefunden hat, ist man, um es mit einem Fachbegriff der Sprachnörglerforschung zu sagen, ein Vollpfosten.« Für diese höhnische Formulierung erhielt Stefanowitsch viel Zustimmung. Ein Kommentator bezeichnete sie als ›den besten Satz, den er seit langem gelesen habe. Genial!‹. Es gab aber auch einige kritische Stimmen: »Mag ja sein, dass die Sprachnörgler nervig sind. Aber Stefanowitsch kommt mir zunehmend wie eine umgedrehte Version von Sebastian Sick vor. Diese ›ich sage euch, wie es wirklich ist‹-Mentalität kommt in der Schule nicht gut an und im Internet auch nicht.« Und der Münsteraner Philosoph Jörg Friedrich bemerkte, dass schon der Begriff ›Sprachnörgler‹ »keine fassbare, aus seinen Bestandteilen herleitbare Bedeutung« habe und wohl einfach nur verwendet werde, weil er sich »so wunderbar eignet, um jemanden als Spiel- und Spaßverderber kennzeichnen zu können. Dabei kann gerade das Herausarbeiten älterer Verwendungen von Wörtern durchaus ein spaßiges Spiel sein, das sehr erhellend ist.«

Damit hätte die Geschichte zu Ende sein können, wenn der Kommentator Malus nicht am Rande bemerkt hätte: »Buschs ›Busen‹-Fehlinformation könnte ganz profan aus der Wikipedia stammen. Dort stehe mit Bezug auf einen anatomischen Taschenatlas: ›Die Lücke, bzw. Rinne zwischen den beiden Brüsten heißt Busen; auf lateinisch: sulcus, bzw. sinus intermammarius‹.« In der Folge mehrten sich dann Hinweise, dass Stefanowitsch mit der Behauptung, das Wort Busen habe zu KEINEM Zeitpunkt ›das Tal zwischen den Brüsten‹ bezeichnet, den Bogen überspannt hatte. Wer Wikipedia misstraue, dem helfe, wie der Kommentator phaeake am 13.09.11 bemerkte, ein simpler Blick in die Brockhaus Enzyklopädie. Dort finde sich neben dem üblichen Verständnis von Busen auch eine anatomische Bedeutung des Begriffes: »sinus mammarum, Bezeichnung für die Einbuchtung zwischen der rechten und linken weiblichen Brust«. Nun war offenbar für Stefanowitsch, der sich seit der Veröffentlichung seines Beitrages (wohl in der Annahme, er bedürfe keiner weiteren Ergänzung) dezent aus der Diskussion herausgehalten hatte, der Zeitpunkt gekommen, zu reagieren. Kaum zwei Stunden nach phaeake’s Kommentar kündigte er an: »Zum Busen in der Anatomie und der Alltagssprache kommt bei Gelegenheit noch ein kleiner Nachtrag, das ist nämlich eine spannende Geschichte.«

Am 28.10.11 war es dann so weit, Stefanowitsch veröffentlichte den Beitrag »Der Mythos vom Tal zwischen Brüsten«. Schon im Titel stellte er die Busen-Definition des von ihm verspotteten Schreibtrainers Busch erneut in Frage. Und so backt er zu Beginn seines Artikels auch nicht kleine Brötchen oder entschuldigt sich bei Busch, sondern wiederholt den Vorwurf, dass der Verfasser des Sprachtipps die Geschichte vom Busen als »Tal zwischen den Brüsten« wohl von der Rückseite einer Cornflakespackung abgeschrieben habe. Und obwohl bereits deutliche Hinweise vorlagen, dass Busch bezüglich der Ursprungsbedeutung des Begriffes Busen rechthaben könnte, belässt er es nicht bei dieser Polemik, sondern verhöhnt erneut das (vermeintlich) unterirdische Niveau von Busch‘s Recherche: »Ich möchte mich für meine Gemeinheit deshalb entschuldigen: Verzeihung, liebe Cornflakes-Produzenten, ich weiß natürlich, dass ihr derartigen Unfug niemals auf eure Verpackungen drucken würdet.« Erst danach widmet er sich der für den Leser spannenden und für ihn eher unangenehmen Frage, »woher die Idee vom Busen als ›Tal zwischen den Brüsten‹ denn dann kommt«. Eine »Idee«, die er in der Überschrift seines Beitrages noch als »Mythos« bezeichnet hatte, die aber spätestens seit dem Hinweis des Kommentators phaeake auf den Brockhaus-Eintrag schon fast ein Faktum war.

Wie nicht anders zu erwarten, kommt Stefanowitsch, an den anatomischen Taschenatlas anknüpfend und den hauseigenen Anatomieexperten Helmut Wicht befragend, zu dem Ergebnis, dass Busen der deutsche Fachbegriff für die lateinische Fachbezeichnung »Sulcus intermammarius« oder die ältere punktuell noch verwendete Bezeichnung »Sinus mammarium« ist. Daraus folgert er, seine eigene Fehlleistung überspielend, dass Busch in diesem Fall nicht dem etymologischen, sondern dem terminologischen Fehlschluss aufgesessen sei. Der besagt, dass sich für ›Sprachnörgler‹ nicht nur aus der ursprünglichen, sondern auch aus der fachterminologischen Bedeutung eines Begriffes dessen korrekte Verwendung erschließe. Ferner stellt er – aus einem antiquarischen Wörterbuch herleitend – ziemlich gewunden fest, wenn Busen als Übersetzung für sinus herhalten musste und sinusKurve, Falte, Tasche, Bucht‹ bedeute, dann erkläre dies, warum einige dieser Bedeutungen auch außerhalb der Beschreibung menschlicher Körperteile durch Busen wiedergegeben werden. Allerdings folgte auch hier kein Eingeständnis, dass er den Begriff Meeresbusen in seinem Ausgangsbeitrag nicht von Bucht (im Sinne von Aussparung), sondern von Beule (im Sinne von Brust) hergeleitet hatte.

Stefanowitsch illustriert seinen Ursprungsbeitrag mit dem Bild des Jadebusens und kommentiert es mit »Achtung nicht jugendfrei: Ein Bild von einem Busen«. Er will damit zeigen, dass Busen sich etymologisch nicht von ›Aussparung‹, sondern ›aufblasen, schwellen, Beule‹ ableitet. Doch hier irrt der Sprachwissenschaftler und hat sich von der gewölbten Form der Einbuchtung täuschen lassen, denn Meeresbusen bezeichnet die Aussparung zwischen zwei Landstücken.

Diese Verschleierungstaktik, mit der Stefanowitsch‘ offenbar seine Diskurshoheit zu retten versuchte, ging dann selbst phaeake zu weit, der durch seinen Kommentar die Aufklärung mit eingeleitet hatte und dem Blogautor bisher wohlgesonnen war. Irritiert bis verärgert bemerkt er: »Ihr geschätzter Blog lässt mich heute etwas ratlos zurück. In dem Vorgängerartikel bezeichneten Sie es als ›(...) äußerst unwahrscheinlich, dass es [das Wort Busen] zu irgendeinem Zeitpunkt das Tal zwischen den Brüsten bezeichnet hat, und tatsächlich hat es das auch nie‹. Diese Behauptung hielt ich nach der Diskussion in den Kommentaren des Vorgängerartikels für widerlegt. Sie entschuldigen sich im neuen Artikel wortreich und ironisch für alles Mögliche, aber diesen Fehler räumen Sie nicht ein. Sie sprechen vom ›Mythos vom Busen als Tal zwischen den Brüsten‹ als entspräche es nicht der Realität, dass ›Busen‹ – nota bene: auch und nicht etwa ausschließlich oder ›eigentlich‹ – den Brustzwischenraum bezeichnet. Man könnte bei der Lektüre Ihres Folgeartikels den Eindruck bekommen, als bedürfte es akribischer Forschung in Anatomieatlanten und uralten Fachbüchern, um Nachweise für die Verwendung des Wortes Busen im Sinne von ›Vertiefung zwischen den Brüsten‹ zu finden. Es reicht aber eine gute Allgemein-Enzyklopädie.«

In der Tat bedarf es keiner akribischen Forschung, um herauszufinden, dass das Wort Busen ursprünglich die ›Rinne, Vertiefung, Falte oder das Tal zwischen den Brüsten‹ bezeichnet hatte und Meerbusen keine gewölbten, sondern schmale Teile des Meeres sind, die sich tief ins Land hinein strecken. Bei einer einfachen Google-Suche erzielte ich folgende Ergebnisse:

Die Vertiefung, welche beide Brüste trennt, heißt der Busen (sinus) - aus: Meyers Konversationslexikon (1885-1892)

Der Busen, ehedem Busem (…) Eigentlich jede gebogene Fläche, welche nunmehr veraltete Bedeutung sich noch in dem Worte Meerbusen findet. In engerer Bedeutung, eine Falte. So gebrauchen noch die Jäger dieses Wort, wenn sie einem Garne Busen geben, d. i. Falten darein machen, damit sich das Wild desto eher darin fange. (…) die Falten und die Öffnung in der Kleidung vor der Brust. – aus: Adelung, Johann Christoph (1793-1801): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

Busen der, (…) bezeichnet die Vertiefung zwischen den Brüsten, von denen eine Frau üblicherweise zwei hat oder die gesamte Hügellandschaft.- aus: Stupidedia, freie Humor- und Satire-Enzyklopädie

Sinus lat. Busen, Vertiefung, Höhle; dann auch geschlossener Kanal. (…) - aus: Dornblüth, Otto (1927): Klinisches Wörterbuch

Der Busen (Sinus mammarum) ist die Vertiefung zwischen beiden Brüsten und nicht - wie fälschlicherweise oft angenommen wird - die Brust selbst. - aus: Spornitz, Udo M. (2001) : Anatomie und Physiologie: Lehrbuch und Atlas für Pflege- und Gesundheitsberufe

Meerbusen (…) werden schmale Theile des Meers genannt, welche sich tief in das Land hinein erstrecken (…); kleinere Meerestheile der Art werden Bai und Bucht genannt. - aus: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon (1839)

Es ist erstaunlich, dass Stefanowitsch all diese, hier auszugsweise angeführten Hinweise übersehen hat, zumal er sich selber als bekennenden Google-Liebhaber bezeichnet. Allerdings liefert er eine allgemeine Erklärung für sein Missgeschick in dem ZEIT-ONLINE-Artikel »Die Hintertür zur Forschung« vom 18.01.2010. Darin wird am Beispiel von renommierten Bloggern über Perspektiven und Probleme von Wissenschaftsblogs berichtet. Ausführlich kommt auch Stefanowitsch zu Wort, der sich u. a. wie folgt äußert: »Anders als beim wissenschaftlichen Schreiben müsse man beim Bloggen schnell sein und kontinuierlich, am besten alle zwei bis drei Tage neue Texte liefern. Die Schnelligkeit verführt zu Fehlern, die den Ruf schädigen können. Oder nicht? Fehler müssten ausdrücklich zugegeben werden und sollten nicht klammheimlich mit dem Redaktionssystem gelöscht werden – das gebiete die Blogger-Ethik, sagt der Sprachwissenschaftler.«

Dem ist nur hinzuzufügen, dass es dem Sprachwissenschaftler Stefanowitsch, der in Sachen »Busen«, seine höhnische Verspottung des Schreibtrainers Busch bisher nicht zurückgenommen hat, offenbar nicht an der allgemeinen Einsicht mangelt, dass ein Blogger Fehler machen kann, die den eigenen Ruf schädigen (und den Ruf der »Gegenseite« beschädigen) können. Es fehlt ihm vielmehr an dem Willen, Fehler zu erkennen und im konkreten Fall einzuräumen.

Nachbemerkung

Stefanowitsch‘ Weblog ziert das Motto »Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus«. Das ist nicht viel mehr als eine pseudodemokratisch-linguistische Floskel. In der Praxis geht die »Sprachgewalt« ja bekanntlich weniger von jedem einzelnen Sprecher als von Schriftstellern, Journalisten, Drehbuchautoren, Werbeagenturen, der Duden-Redaktion oder Lehrern aus und im Zweifelsfall soll sie – wie die Geschichte um die strittige Ursprungsbedeutung des Begriffes Busen zeigt – wohl von ambitionierten Linguisten wie Stefanowitsch aus.

Auch seinen Leitgedanken, dass ›Sprachnörgler‹ sowohl »die Komplexität von Sprachen als auch die Intelligenz von Sprecher/innen« unterschätzen, sollte er sich besser selbst zu Herzen nehmen. Denn wenn ein Bildzeitungsleser einen Beitrag über »Die 10 am häufigsten falsch verwendeten Wörter« liest, dann wird dies kaum dazu führen, dass er so geläufige Begriffe wie Kult, Busen oder Sorgen plötzlich nur noch in ihrer Ursprungsbedeutung gebraucht. Vielmehr ist es wahrscheinlicher, dass ihm an anschaulichen Beispielen bewusst wird, dass Begriffe einen Bedeutungswandel durchlaufen. Und vielleicht wird er seinen verblüfften Kollegen in der nächsten Frühstückspause am Beispiel des spärlich bekleideten Covergirls, das regelmäßig die Titelseite der Bildzeitung schmückt, anschaulich erläutern, was der Begriff Busen eigentlich oder ursprünglich bedeutet. Dadurch wird dem einen oder anderen Laien die Komplexität von Sprachen bewusst. Und so sind es offenbar nicht ›Sprachnörgler‹, wie der Schreibtrainer Busch, sondern Linguisten wie Stefanowitsch, die die Intelligenz von Sprechern unterschätzen.

Ferner ist sein grundsätzlicher Einwand, dass es gar nicht möglich ist, bei einem Wort eine Ursprungsbedeutung zu finden, der keine weiteren Bedeutungen vorausgehen, höchst theoretisch und weltfremd. Hätte der Einwand praktische Bedeutung dürfte es keine etymologischen Wörterbücher geben. Es gibt sie aber, weil es eine Binsenweisheit ist, dass sie nur in bekannten Sprachschichten oder -stadien die Ursprungsbedeutung eines Begriffes rekonstruieren können. Die Erkundung der Ursprungsbedeutung eines Begriffes kann eine interessante, mit überraschenden Ergebnissen verbundene Beschäftigung sein. Zum Beispiel ist der Begriff »Wetterleuchten« nicht wie oft angenommen wird mit leuchten verwandt, sondern er leitet sich von mittelhochdeutsch weterleichen, von ›weter‹ (Wetter) und ›leichen‹ (tanzen, hüpfen, spielen) ab.

Als Resümee können wir festhalten, dass man so komplexe, nützliche und schöne Dinge, wie die Sprache nicht überkandidelten Linguisten wie Stefanowitsch überlassen sollte, die zur angeblich freien Entfaltung der Sprache auf sogenannte ›Sprachnörgler‹ eindreschen.

G.M., 14.01.12

 

 

»Der Linguist Anatol Stefanowitsch (…) betreibt ein Sprachblog, wo man zu allseits bekannten Themen allseits bekannte Antworten findet. Und die sind kurz und manchmal auch nur Links, die irgendwie in Richtung Lösung führen. Zum Beispiel Eskimoschneekramfragen. Darüber sprechen Linguisten erstaunlich oft, wenn man bedenkt, daß sie über Nichtlinguisten gern die Nase rümpfen, weil die an das Großvokabular der Eskimos für Schnee glauben. Andere Themen zu finden, ist auch ziemlich schwer.« (aus: Belles Lettres - Deutsch für Dichter und Denker)

   


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