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Was uns eine stinkende Müllkippe auf La Gomera über die persönlichen Wohlfühlideologien eines
altlinken Umweltministers, resozialisierten Aussteigern und eines notorischen Querulanten lehrt:
Wer im Valle Gran Rey einen Wanderführer oder ein Reisemagazin zur Hand nimmt, um sich über eine
durchaus anstrengende, aber dafür auch sehr idyllische Wanderung von La Calera über Arure und ggf.
weiter nach Taguluche (oder auch umgekehrt) zu informieren, der kann schon mal – wenn er in Westeuropa
und insbesondere Deutschland sozialisiert wurde – etwas irritiert sein, wenn er liest:
»In Arure angekommen, kann man eine schöne Pause beim Mirador ›el Santo‹ machen und den grandiosen
Ausblick auf Taguluche bestaunen und diesen speichern bis man die Müllkippe hinter sich gelassen hat.
Dann geht’s wieder wunderschön weiter, geschlängelt an großen roten mächtigen Felswänden vorbei
zum offenen Plateau ›la Merica‹.«
»Wir entschließen uns weiter nach Arure zu wandern. Es geht nochmals 250 m aufwärts (sanft!). Leichter
Nieselregen fällt, die Anoraks werden angezogen. Vorbei an Ziegenhöhle und Müllkippe erreichen wir die
Bar Conchita in Arure. Uns wird Brot und Ziegenkäse serviert.«
»Zunächst fällt der Blick auf das tieferliegende Meer und die sattgrünen Felder um Taguluche. Sie
passieren die Müllkippe von La Gomera und steigen dann über Steinstufen aufwärts zur Hochebene, die sie
nach einer halben Stunde Gehzeit erreichen.«
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Da gibt (oder genauer gesagt gab es) also eine Müllkippe im Valle Gran Rey, die so direkt an einem
Wanderweg gelegen war, dass sie von keinem Reise- oder Wanderführer verschwiegen werden konnte. Diese Müllkippe
war bis 2007 in Betrieb und machte den naturverbundenen Wanderer, da sie meistens brannte, schon aus
weiter Entfernung auf sich aufmerksam. Interessanterweise haben die Autoren der Reise- und Wanderführer
verschiedene Möglichkeiten entwickelt, mit diesem landschaftlich ungewöhnlichen Objekt umzugehen.
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Wikipedia
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Auch La Gomeras bekanntester Rebellenführer, der Guanchenhäuptling Hautacuperche, ist mehr eine
touristische Attraktion denn eine Integrationsfigur. Gerüchten zu Folge stammt das Modell des
zerbrochenen Kruges, den er in der rechten Hand trägt, von der ehemaligen Bereichsmüllkippe
VGR in Arure.
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Erstens, wir nutzen es zur besseren Orientierung (»vorbei an Ziegenhöhle und Müllkippe«). Auch ein
kritischer Naturfreund wird einräumen müssen, dass der Unterschied zwischen einem in einer Vulkangesteinhöhle
gebauten Ziegenstall und einer Müllkippe im Hinblick auf den erbärmlichen Gestank so groß nicht ist. Aber
eine brennende Müllkippe ist zweifellos die eindeutigere und schon von weitem sichtbarere Wegmarke, denn
stinkende Ziegen und Ziegenställe gibt es viele im Valle Gran Rey, eine zentrale Müllkippe dagegen nur einmal.
Zweitens, wir ignorieren sie oder tun so, als wenn sie nicht da wäre. Laut Reiseführer funktioniert das wie
folgt: An einem überwältigenden, vor der Müllkippe gelegenen Ausblick nehmen wir einen tiefen Schluck
Landschaft zu uns. Wir versenken uns darin und wandern solange weiter, bis wir den Schandfleck hinter
uns gelassen haben. Nach dieser Durststrecke holen wir tief Luft und saugen erneut einen wunderschönen
Ausblick ins uns auf. Im Original liest sich das so: »Wir speichern den grandiosen Ausblick auf
Taguluche bis man die Müllkippe hinter sich gelassen...«.
Ich sag’s gleich, die zweite Variante mag zwar für einen erholsamen Wanderurlaub der Königsweg sein,
ist aber nicht mein Ding! Erstens habe ich eine gewisse, durchaus nicht immer vorteilhafte Neigung,
die Dinge etwas zu realistisch zu betrachten. Schon als Kind konnte ich mich z. B. im Unterschied zu
meinen Freunden nicht völlig ungebrochen in die Fernseh-Kultserie »Bonanza« versenken, wenn am nächsten
Tag eine Klassenarbeit in einem Problemfach geschrieben wurde. Und zweitens war ich, als ich die Müllkippe
kurz vor der Jahreswende 2001/2002 auf einer Wanderung zufällig entdeckte, in einem kommunalen Umweltamt
beschäftigt und durfte mich schon seit Jahren mit der Umsetzung der ökologisch und ökonomisch absurden
Standards der peniblen deutschen Abfallgesetzgebung herumschlagen1). Kurzum: Ich hielt – als ich die
brennende Müllkippe entdeckte und später passierte – nicht die Luft an, sondern prustete laut vor
Entrüstung über diesen Umweltfrevel. Der bestand nicht nur in einer wild-wüst-brennenden Müllkippe auf
einer Insel, die zweifelsfrei zu einem Kernland der EU gehörte2), sondern auch darin, dass sie ins Meer
entwässerte. Dies war unschwer an den ausgedehnten Schlieren auf der 800 m tiefer gelegenen Wasseroberfläche
zu erkennen.
Wieder am Strand von La Playa angekommen, war meine Entrüstung schon in Empörung umgeschlagen und bedurfte
dringend eines Gegenübers oder genauer gesagt Opfers, um sich Luft zu verschaffen. Nun heißt es zwar schuldig
ist nicht der Verursacher, sondern der, den man erwischen kann – doch wie sollte ich auf einer Insel, die
politisch zu Spanien, geographisch zu Afrika und neokolonial zu Deutschland gehört, jemanden auftreiben, den ich
für diesen Umweltskandal verantwortlich machen konnte und der auch noch bereit war, meinen Ärger auf sich
zu laden. Die Lage schien deprimierend und aussichtslos! Nicht immer in meinem Leben hatte das Schicksal
es gut mit mir gemeint, aber diesmal schien es mir wohlgesonnen, denn das dringend benötigte Subjekt lief mir
schon am nächsten Tag in Gestalt des damaligen grünen Bundesumweltministers
Jürgen Trittin über den Weg. Der
promenierte wie so viele Staatsbeamte, die es nach altlinker Vergangenheit zu einer gehobenen Position und
einem regelmäßigen Einkommen gebracht hatten, lässig gekleidet und sichtlich entspannt am kultigen Strand
von La Playa entlang. Noch konnte er nicht ahnen, dass da schon jemand in seiner unmittelbaren Nähe intensiv
mit ersten Vorbereitungen für einen brieflichen Anschlag auf ihn beschäftigt war.
Ich war fest entschlossen, ihm den Aufenthalt in diesem altlinken Aussteigerparadies noch im Nachhinein zu
vermiesen, zumal seine beiden durchaus imponierenden Bodygards weder von dieser Attacke ahnten, noch ihn
davor schützen konnten. Ich fühlte mich wie Hans im Glück und dachte voller Freude: Das kann doch nicht
wahr sein, Deutschlands oberster Hüter der Abfalltrennung, der Herr der Dosen und der aktuelle Cheforganisator
der Sammlung von löffelreinen Yoghurt-Bechern in Gelben Säcken macht ausgerechnet dort Urlaub, wo der Müll
unsortiert und brennend einen Barranco hinunter ins Meer gekippt wird. War das Rainer Zufall oder steckte
vielleicht mehr dahinter? Erinnern wir uns: Den Grünen war es damals – obwohl sie bereits seit 1998 in der
Regierung saßen – nicht gelungen, die Bürger der Bundesrepublik von ihrem konsumorientierten Lebensstil
abzubringen und sie zum Konsumverzicht zu bekehren. Allerdings mussten die an ihrer gewohnten Lebensweise
festhaltenden Bürger einen hohen Preis für ihre mangelnde Einsichtsfähigkeit bezahlen. Trittin hatte
bekanntlich durchgesetzt, dass die Abfälle in Deutschland so aufwendig und teuer, wie sonst nirgendwo auf
der Welt getrennt, entsorgt und auch vermieden werden mussten.
War Trittin also womöglich auf La Gomera, um seinen beachtlichen Teilerfolg im Kampf gegen den
spätkapitalistischen Konsumterror in einem der letzten altlinken Hippie-Paradiese auf europäischen
Boden auszukosten? Viele seiner altlinken Kumpanen hatten Ende der 1970er Jahre die Brocken hingeworfen
und waren ins gomeranische Exil ausgewandert. Trittin dagegen hatte einen anderen Weg gewählt. Nunmehr
im grünen Gewand hatte er den Marsch durch die Institutionen angetreten. Wollte er womöglich vor seinen Exil-Kumpanen
damit strunzen, was er für Erfolge gegen den kapitalistischen Erzfeind erzielt hatte3). Wie dem auch sei,
unser Bundesumweltminister war noch gar nicht außer Sichtweite, als der erste Entwurf eines geharnischten
Protestschreibens an sein Berliner Büro in meiner Großhirnrinde schon darauf wartete, geschrieben und in
den nächsten Postkasten geworfen zu werden. Wieder in der kalten Heimat angekommen, verzögerte sich das
Projekt dann doch etwas. Daheim wehte einfach ein anderer Wind und der trug nur noch selten die Gerüche
einer brennenden Müllkippe auf einer Insel des ewigen Frühlings in mein Bewusstsein.
So weit ich mich erinnere, bedurfte es der erneuten Novelle der Verpackungsverordnung oder auch einer anderen Abfallverordnung,
mit der die deutsche Mülltrennung noch weiter perfektioniert werden sollte (und in der
Folge die kommunale Arbeit noch schwieriger gemacht wurde), um wieder das Gesetz des Handelns (oder genauer
gesagt des Nachtretens...) an mich zu reißen. Nur wenige Tage später schickte ich folgendes Schreiben in
die Bundeshauptstadt:
Lippstadt, 12.02.02
Vorsintflutliche Abfallbeseitigung in Ihrem Urlaubsziel Valle Gran Rey auf La Gomera
Sehr geehrter Bundesumweltminister Trittin,
während meines Urlaubs auf La Gomera durfte ich zufällig erfahren, dass Sie einige Tage um die
Jahreswende im Valle Gran Rey verbracht haben. Ich gratuliere Ihnen zu diesem faszinierend-verrückten
Urlaubsziel!
Sollten Sie während Ihres Aufenthalts zufällig von La Calera nach Arure gewandert sein, dann ist
Ihnen sicherlich auch die zentrale Müllkippe (Bereich VGR) aufgefallen, die schon von weitem an
ihrer Rauchfahne zu erkennen ist und kurz vor Arure direkt am Wanderweg liegt. Am Ort des Geschehens
angekommen, kann sich jeder Wanderer davon überzeugen, dass sämtlicher Müll unsortiert über eine Hangkante
in ein riesiges Tal gekippt und angezündet wird. Ein Blick über die verrauchte Hangkante gleicht einem
Blick in die Vorhölle. Dass das Tal mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar auch noch ins Meer entwässert,
rundet den ›Skandal‹ ab!
Ich habe es bisher nicht für möglich gehalten, dass es im Euro-Europa bei all den vielen EU-Richtlinien
noch solch krasse Differenzen bei der Abfallbeseitigung gibt. Hinzu kommt, dass das Mülltal, wenn es
in Nordeuropa liegen würde, zweifelsfrei nach der EU-Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie als Naturschutzgebiet
unter Schutz gestellt worden wäre.
Die ganze Angelegenheit hinterlässt den Eindruck, dass Süd- und Nordeuropa gemeinsam strenge
Umweltrichtlinien verabschieden, die dann im Norden notfalls unter Androhung von Zwangsgeldern
in Landesrecht umgesetzt werden, während die Richtlinien in den südlichen Staaten in den Schubladen
verschwinden.
Als Bundesumweltminister fällt die Abfallbeseitigung in einem anderen EU-Staat zweifellos nicht in
Ihre unmittelbare Zuständigkeit. Sie setzen sich aber dafür ein, dass Deutschland die Vorreiterrolle
in Sachen ökologische Abfallbeseitigung einnimmt. Da kommt es nicht gut, wenn Sie offenbar nichtsahnend
in einem EU-Mitgliedsland urlauben, das seinen Müll jenseits von allen Standards auf für die Umwelt
bedrohliche Art und Weise entsorgt. Ich darf Sie daher bitten, zu den Gründen für die illegale
Müllbeseitigung und zu meiner europapolitischen Bewertung der Angelegenheit Stellungnahme zu nehmen
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Christopher Handmann
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Die Antwort des Ministers bzw. seiner persönlichen Referentin ließ nicht lange auf sich warten:
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Berlin, 21.02.02
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Sehr geehrter Herr Menting,
Bundesminister Jürgen Trittin hat mich gebeten, Ihr Schreiben vom 12.02.2002 zu beantworten.
(...)
In der Sache haben Sie recht, dass gerade die Abfallbeseitigung in manchen EU-Mitgliedstaaten nicht den
von der EU vorgegebenen Standards entspricht. Häufig mangelt es an einer konsequenten Umsetzung des
geltenden Rechts, also im Vollzug und seiner Überwachung. Hier zu einer einheitlichen Rechtsanwendung
zu kommen, ist Aufgabe der Europäischen Kommission, die hierin von der Bundesregierung unterstützt wird.
Es liegt auch im deutschen Interesse, dass Standards einheitlich angewandt werden, um Umwelt-Dumping
durch Entsorgung auf Billigdeponien zu vermeiden.
Mit freundlichen Grüßen
Lottermoser
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Der Fisch hatte wie erwartet angebissen, aber das Ergebnis war für mich alles andere als befriedigend.
Die persönliche Referentin des Ministers räumte zwar generös die Existenz von Missständen ein, zeigte
aber überhaupt kein Interesse, im konkreten Fall nach den Ursachen dafür zu recherchieren. Vielmehr
hatte sie aus Bequemlichkeit, oder um ihren Chef aus der Schusslinie zu ziehen, das Problem so verwässert,
dass kein Zusammenhang mehr zwischen seinem Urlaubsort und dem schwelenden Umweltskandal erkennbar war.
Kurz: Sie hatte Trittin genau dahin manövriert, wo ich ihn nicht haben wollte. Sie hätte sich denken können,
dass es ihr mit solch einem, leicht durchschaubaren Manöver nicht gelingen würde, einem Querulanten, den Wind
aus den Segeln zu nehmen. Und so dachte ich bei mir: Wie, das soll jetzt alles gewesen sein? Hatten unsere grünen
Umweltapostel nicht bei anderen Umweltskandalen vom Bürger erheblich mehr persönliches Engagement verlangt und
z. B. für Malta die Parole ausgegeben: »Kein Urlaubsort, wo Vogelmord!«? Und das sollte jetzt, wenn es um
unseren Bundesumweltminister und die Verseuchung diverser Umweltmedien durch eine brennende Müllkippe geht,
plötzlich nicht mehr gelten? Kaum drei Tage später war mein nächstes Schreiben unterwegs:
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Christian Deyna
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In jedem Reiseführer kann man nachlesen, dass man in der Conchita Bar in Arure, die bei Wanderern und
Einheimischen sehr beliebt ist, leckeren Ziegenkäse essen kann. Wenn der mal früher nicht geräuchert war!
Ich jedenfalls habe dort bei meiner ersten Einkehr, kurz nachdem ich die Müllkippe entdeckte, einen
Riesenteller gekochten Thunfisch gegessen. Allerdings nicht aus Protest, sondern weil die Bedienung,
als ich diverse deutsche, englische und spanische Vokabeln stammelnd, um die Speisekarte bat, schelmisch
mit dem Finger auf sich zeigend, klarstellte: »La carta, c’est moi!« – oder so ähnlich...
Und »bonito« und »thún« waren dann die einzigen Wörter, die ich in ihrer rasanten Aufzählung verstanden hatte.
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Lippstadt, 24.02.02
Skandalöse Abfallbeseitigung in Ihrem Urlaubsziel Valle Gran Rey Bezug: Schreiben Ihrer persönlichen Referentin Dr. Lottermoser vom 21.02.02
Sehr geehrter Bundesumweltminister Trittin,
vielen Dank für die unverzügliche Beantwortung meiner Anfrage. Ich finde es erfreulich, dass Sie mir in der Sache
voll zustimmen. Dies kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass wohl jedes zertifizierte deutsche
Entsorgungsunternehmen beim Bekanntwerden eines solchen Missstandes mehr Initiative ergriffen hätte als Sie in
der Stellungnahme Ihrer persönlichen Referentin erkennen lassen.
Von einem grünen Bundesumweltminister, der meines Wissens sogar festen Willens ist, die in Europa jetzt schon
unübertroffen hohen Umweltstandards der deutschen Abfallwirtschaft noch weiter zu verschärfen, hätte ich schon
etwas mehr Engagement bezüglich des Ihnen von mir geschilderten Umweltskandals erwartet. Da reicht mir ein etwas
resignierend wirkender Hinweis auf die Zuständigkeit der Brüssler Bürokratie und gemeinsame europäische Interessen
bei weitem nicht aus.
(...) Bin ich womöglich noch daran schuld, dass man von einem grünen Politiker etwas mehr Authentizität als von
den Politikern anderer Parteien erwartet? Und hängt dies nicht ursächlich mit den idealistischen Programmen der
Grünen zusammen, die so wenig zu einer fragmentierten Welt passen wollen, in der das Schöne (Urlaub im Valle Gran Rey)
nicht mehr automatisch auch das Gute (Müllbeseitigung in Valle Gran Rey) ist?
Diese etwas nachdenklichen Fragen sollen Sie nicht davon abhalten, aus der idealistischen Erblast Ihrer grünen
Partei das Vernünftigste zu machen, was man im praktischen Leben daraus machen kann, nämlich gezieltes Engagement.
Ich bitte daher um Mitteilung, wie Sie in Sachen Beseitigung dieses Umweltskandals weiter vorgehen wollen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Christopher Handmann
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Diesmal kam die Antwort des Ministers nicht umgehend, sondern ließ auf sich warten. Kein schlechtes Zeichen, dachte ich,
sicherlich hat er sich – weil ich auf die parteiideologische Bedeutung der Angelegenheit aufmerksam gemacht hatte – jetzt
persönlich eingeschaltet und seine Mitarbeiter angewiesen, bei der EU in Brüssel Informationen zu dem Skandal einzuholen.
Trittin musste ja befürchten, dass ich die Geschichte – wenn es ihm oder seinen Mitarbeitern, nicht gelänge,
mein Mütchen zu kühlen – an ein politisches Magazin weiterleite. Die publizieren solche bösartigen Anekdoten nur zu gerne,
weil ihre Leser einen Gefallen daran finden, wenn einem, von ›denen da oben, die uns ja doch nur verarschen‹,
der Spiegel vor die Nase gehalten wird. In diesem Fall einem Minister, der ein ganzes Volk dazu verdonnert hatte, den
anfallenden Müll auf pedantische Weise zu trennen. Und tatsächlich knapp einen Monat später erreichte mich folgendes
Schreiben, diesmal sogar auf dem persönlichen Bundestags-Briefkopf des Ministers:
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Der mit Zivilisationsabfällen zugemüllte Barranco in Arure: Auf La Gomera durfte man noch bis vor wenigen
Jahren weitestgehend unbehelligt von lästigen Sortierpflichten der alternativen Konsum- und Wegwerfgesellschaft
frönen. Dem grünen Herzen unseres damaligen Bundesumweltminister Trittin schien dies kein hinreichender Anlass
für einen Aufschrei zu sein.
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Berlin, 19.03.02
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Sehr geehrter Herr Menting,
vielen Dank für Ihr Schreiben, auch im Namen von Herrn Trittin [hört, hört...,G.M.].
Leider konnten wir Ihr Schreiben nicht früher beantworten.
Natürlich handelt es sich bei der Müllkippe bei Arure um einen Mißstand, der zum Glück auch in Südeuropa
eine Ausnahme darstellt. Auf Gomera gibt es eine jahrelange Auseinandersetzung um diese Müllkippe. Die
Verwaltung möchte eine Müllverbrennungsanlage bauen – evtl. auf der Nachbarinsel Hierro, hiergegen wehren
sich zahlreiche Gruppen, gerade auch aus dem Bereich der Umweltschützer
Auch in Spanien gelten die entsprechenden EU-Richtlinien, daher muss auch auf Gomera eine Lösung bis
spätestens 2005 gefunden werden.
Mit freundlichen Grüßen
Olaf Denter
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Nun hatte ich also ein Schreiben, das den Namen Antwort verdiente, und konnte relativ sicher sein, dass sich
Trittin der Sache persönlich angenommen hatte. Die Antwort war zwar nicht lang, enthielt aber dafür einige
brauchbare – wenn auch, wie sich später herausstellte, nicht unbedingt aktuelle – Informationen zu dem
Umweltskandal. Ärgerlich allerdings der Versuch, die Geschichte auf gesamteuropäischer Ebene als wenig
bedeutsam darzustellen. Trittins Behauptung, dass es sich bei der Müllkippe in Arure um einen Missstand
handeln würde, der auch in Europa eine Ausnahme darstellt, war entweder eine grüne Wirklichkeitsbeschwörung
oder glatt gelogen. Wer schon mal in Südeuropa Urlaub gemacht hat, weiß, dass dieser Missstand vielleicht krass,
aber alles andere als eine Ausnahme ist4). Positiv dagegen das Eingeständnis des Ministers, dass es gerade die
Umweltschützer sind, die hier einen sinnvollen Umweltschutz verhindern. Dies hätte ihn der Einsicht näher bringen
können, dass sich auch hinter sogenannten Umweltkonflikten keine, wie von den Grünen oft vermutet wird, erst seit
der Industrialisierung heraufbeschworene Mensch-Naturprobleme, sondern ganz banale Interessen- und Flächennutzungskonflikte verbergen.
Damit hätte die Geschichte eigentlich zu Ende sein können, wenn ich nicht Teile des Schriftverkehrs an das nach eigener
Darstellung völlig beknackte internationale Inselmagazin »Der Valle-Bote« geschickt hätte – und zwar mit der Bitte,
zu prüfen, ob sie ihn in ihrem von mir hochgeschätzten Magazin veröffentlichen wollen. Will man einer Angelegenheit den
notwendigen Nachdruck verleihen, tut man bekanntlich gut daran, ›immer schön zu streuen‹. Nun zeigte die Redaktion des
Valle-Boten aber nicht die geringste Lust, sich der Sache in irgendeiner für mich erkennbare Weise anzunehmen. Vielleicht
dachten sie: Ist ja schließlich unser Müll, den wir auf der Bereichsmüllkippe in Arure in den Barranco kippen, oder:
Lass den mal, der Heißsporn hat die Hitze hier nicht vertragen und kühlt sich in der kalten Heimat schon wieder ab.
Vielleicht dachten sie auch gar nichts, denn wozu lebten sie schließlich in einem abgelegenen Aussteigerparadies?!
Wie dem auch sei, ich fühlte mich in meinem Elan etwas ausgebremst, hatte aber den Eindruck, dass noch Zunder in der Geschichte ist. Und
so schrieb ich am 22.03.02 folgende provozierende Mail an die Redaktion des Valle-Boten:
Müder Haufen
Schon aufgestanden Ihr schläfrigen Redakteure des Valle Boten?
Zunächst zur Sache: Bundesumweltminister Trittin hat mich zwischenzeitlich darüber informiert, dass
es sich bei der Müllkippe bei Arure um einen Missstand handelt, der auch in Europa eine Ausnahme darstellt.(...)
Nun zu Euch: Ich vermute, dass Euch die eine oder andere Information, die ich erst auf Nachfrage aus dem
Bundeshaus herauspressen konnte, bereits bekannt war bzw. trotz Eures schläfrigen Desinteresses nicht
entgangen ist. Da frage ich mich natürlich, warum ich von Euch bisher nicht einmal eine schmale Reaktion,
mit dem ein oder anderen Hinweis in der Angelegenheit bekommen habe? Wie dem auch sei, in La Gomera
scheinen die Uhren langsamer zu gehen bis stehen zu bleiben, was ja unbestritten auch gewisse Vorzüge hat.
Es war übrigens nicht meine Absicht, die lethargische Redaktion des Valle Boten wachzurütteln,
sondern nur, dem Bundesumweltminister auf den Zahn zu fühlen; also schlaft schön weiter in Eurem
von EU-Normen bedrohten Biosphärenreservat!
Christopher Handmann
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Auch auf diese Mail bekam ich keine Antwort und so ging ich davon aus, dass die schläfrigen Redakteure des
Valle-Boten trotz meiner provozierenden Bemerkungen nicht beabsichtigten, aus der Deckung zu kommen. Und so
wäre die Geschichte dann endgültig im Sande verlaufen, wenn da nicht ein werter Arbeitskollege aus seinem
La Gomera-Urlaub die Ausgabe Nº 36 des Valle-Boten mitgebracht hätte. Darin war er zufällig auf den Abdruck
meiner frechen Mail samt einer gepfefferten Antwort der Redaktion aufmerksam geworden. Eine Kopie der
entsprechenden Seite wurde mir zu meiner völligen Verblüffung anlässlich eines Geburtstagskaffees im
August 2002 von meinen Kollegen mit einem freundlichen Grinsen überreicht. Was soll ich sagen? Natürlich
fühlte ich mich etwas gebauchpinselt, dass es mir gelungen war, nicht nur unseren damaligen Bundesumweltminister,
sondern auch ein internationales Inselmagazin aus der Reserve zu locken Aber wirklich schön war das nicht, worin
mir jeder zustimmen wird, der den folgenden Text liest:
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»Erscheinungsweise je nach Bock und Wetterlage!«
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Über das auch »Zentralorgan der Deutsch-Gomerianer« genannte internationale Inselmagazin »Der Valle-Bote« liest man nur das
Beste: »Mal ironisch, mal zynisch, mal kritisch, mal philosophisch, mal links, mal liberal, mal abgedreht, mal zornig, mal
alles zusammen liefert er den hungrigen Gehirnen seiner Leserschaft unkonventionell aufbereitete Nahrung. Aber eins ist
der Valle-Bote nie: neutral, angepasst oder langweilig. Deswegen gibt es dem Kultblatt gegenüber nur zwei Positionen: Man
liebt den Valle-Boten abgöttisch oder kann damit nichts anfangen.« Tatsächlich übt er sich bei wirklichen Problemfragen auch
schon mal gerne in der für Aussteigerinseln typischen Zurückhaltung. Schließlich will man da ja überwintern und kann es sich
nicht mit allen verderben.
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Schlafmüll
Leser Christopher Handmann macht uns Dampf
Guten Morgen, Du voll ausgeschlafener Christopher Handmann Du.
Sag mal, ist das Thema ›Müllverbrennungsanlagen‹ bei Euch immer noch aktuell? Müssen all die Trienekens und
Schmitt-Tegges, die Reimers von der ABB, die Lentjes, die Pentags in Cham oder die Söhndeis in Böblingen
jetzt schon die Fühler bis hier herunter zu den unscheinbaren Inseln vor der westafrikanischen Küste
ausstrecken? Denn man tau! Allein auf Mallorca soll der Reimers ja bereits für die, von der Firma Babcock
dort gebaute Müllverbrennungsanlage in Palma de Mallorca 1,28 Millionen Schweizer Franken an Schmiergeldern
kassiert haben. Hört sich richtig gut an, schick uns doch mal die Typen ins Valle. Vielleicht können wir
mit dem dann Halbe-Halbe machen. Oder hat der Hellmut Trinekens, nachdem sie ihn in Köln ja jetzt recht
unangenehm an die Eier fassen, Interesse? Wir würden ihn – gegen entsprechendes Schmiergeld versteht
sich – gern mal mit unseren zuständigen Politikern bekannt machen.
Vielleicht könnten wir unserer armen Insel auch den Charme einer 250-Millionen-Euro Müllverbrennungsanlage
unter Palmen dadurch ersparen, dass wir – wie die cleveren Neapolitaner beispielsweise – unseren Müll einfach
per Lufthansa ins schöne Rheinland schicken und so dazu beitragen, dass Eure Fluggesellschaften und Verbrennungsöfen
endlich mal wieder richtig rentabel werden.*
Hier sind die Jungs bereits feste dabei, eine Müllverbrennungsanlage für ganz Gomera in der Nähe unserer
Inselhauptstadt zu bauen. Das wird eine prima Angelegenheit, weil dann alle Müllwagen der ganzen Insel
pausenlos zu dieser Anlage pendeln. Von Valle Gran Rey aus drei Stunden hin – drei Stunden zurück.
Da brauchen wir dann mindestens fünf Müllkutschen, die 24 Stunden am Tag auf Achse sind, weil sonst
in der Hochsaison zum Beispiel unsere Müllcontainer überlaufen und die Sonne für einen wirklich
atmosphärischen Bio-Urlaub sorgt. Und wenn dann auch noch die tollen Müllautos aller anderen Inselgemeinden
pausenlos unterwegs sind, dann macht es garantiert echt Spaß, als Tourist mit einem Mietwagen über die Insel
zu fahren, um Land und Leute kennen zu lernen.
Du siehst, mein lieber Georg, ausgeschlafen sein allein reicht nicht. Wir schläfrigen Bananenesser in unserem
Biosphärenreservat räkeln uns also lieber weiter in der Hängematte und träumen von den begeisterten Archäologen,
die hier in 10 oder 20.000 Jahren mit Pinselchen und Löffelchen ganz tolle Fundstücke für die Wissenschaft ans
Licht befördern werden.
Der Valle-Bote
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* Da mag man zustimmend hinzufügen, dass Mülltransporte durch die Luft auch den La Gomera-eigenen Aeropuerto bei Playa Santiago
erstmalig in schwarze Zahlen bringen könnten. Diese mit EU-Millionen gebaute höchstmoderne Subventionsruine mutet – nach
einer hübschen Formulierung – wie ein ›gestrandeter Flugzeugträger‹ an. Er verfügt nur über ein Drittel der Passagierzahlen,
die notwendig sind, um rentabel zu sein. Ein nicht geringer Teil des Flugverkehrs soll nur durchgeführt werden, damit die
EU-Millionen nicht zurückgezahlt werden müssen. Da hätte es sich doch geradezu angeboten, die Flüge zum Abtransport von Müll zu nutzen.
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Was lernen wir aus dieser Geschichte?
Erstens, dass Müllverbrennungsanlagen aus der Sicht von resozialisierten, d. h. zwischenzeitlich einer geregelten
Beschäftigung nachgehenden und halbwegs zivilisiert lebenden Aussteigern einfach scheiße sind. Sie sind dazu
geeignet, dass labile soziale Klima in einem sowieso schon durch Kommerzialisierung bedrohten Aussteigerreservat5), noch
weiter zu gefährden, weil sie Korruption, Profitgier und verstopfte Touristen-Straßen6) nach sich ziehen. Hinzu kommt,
dass Müllverbrennungsanlagen gegenüber einer wilden Müllkippe, die für Kinder ein Abenteuerspielplatz sind und auf der
Ziegen nach Nahrhaftem suchen können, null Charme haben. Kurz: Das Valle Gran Rey (Tal des großen Königs) hat seinen
Bewohnern, bisher Heimat, Auskommen und Identität gegeben. Für sie ist es daher am besten, wenn alles so bleibt, wie
es ist: Der Müll wird vor der Haustür abgeholt, zu einer etwas abgelegenen Barranco-Kante gekarrt und in freier
unberührter (also zumindest nicht von einer Müllverbrennungsanlage verschandelter) Natur verbrannt. Das hat Niveau
und Charme und verspricht sogar Kultur für zukünftige Generationen von Archäologen! Ohne Frage sind die Vorbehalte
gegen Müllverbrennungsanlagen völlig irrational, zumal die selben Leute andere technische Spitzenprodukte der modernen
Zivilisation, wie z. B. hypermoderne Fähren oder Flugzeuge ohne Bauchschmerzen nutzen und sich nur darüber aufregen, wenn
sie unpünktlich sind.
Zweitens, unser grüner und nach eigenem Bekenntnis im Grunde seines Herzens immer noch altlinker ehemaliger Bundesumweltminister
verfolgte mit seinen Initiativen zur perfektionierten Abfalltrennung und -verwertung nicht nur das Ziel, die Welt vor vermeintlichen
Müllbergen zu retten, sondern auch die Bürger der Bundesrepublik durch die Installation zeitraubender und kostenintensiver
Trennsysteme dafür zu bestrafen, dass sie der Konsum- und Wegwerfgesellschaft nicht den Rücken zugekehrt haben. So erklärt sich
zwanglos, dass es Trittins grüne Identität nicht übermäßig irritierte, als er darauf aufmerksam gemacht wurde, dass sein Urlaubsort
zwar eine altlinke Idylle sein mag, aber eben eine, wo der Müll unsortiert in einen Barranco gekippt und abgefackelt wird. Laut
einem Spiegel-Bericht (32/1997) wurde in Deutschland gesammelter Verpackungsmüll sogar im großen Stil in das wirtschaftlich
marode Nordkorea exportiert7). Nicht auszuschließen, dass dort Kim Jong-il-Büsten für das unterdrückte Volk daraus
hergestellt wurden. Haben wir tüchtigen Abfalltrenner mit dem Sammeln von Yoghurtbechern womöglich sogar noch eine kommunistische
Diktatur unterstützt? Auch wenn Trittin immer noch altlinken Ideen nachhängt, kann ich mir nicht vorstellen, dass er das gewollt hat.
Drittens, Querulanten sind nervige Zeitgenossen, die Zusammenhänge zwischen Ereignissen sehen oder auch konstruieren, zwischen denen
aus der Sicht ihrer Opfer nur ein sehr lockerer oder überhaupt kein Zusammenhang besteht. So wäre unser ehemaliger Bundesumweltminister
wohl nie von selbst auf die Idee gekommen, den von ihm zu seinem und zum Wohle der Umwelt veranlassten absurden Sortierwahn in deutschen
Haushalten, vor dem Hintergrund der anachronistischen und wirklich die Umwelt gefährdenden Zustände auf einer Müllkippe in seinem
spanischen Urlaubsexil zu beleuchten. Eine weitergehende Analyse der Querulanten-Psyche überlasse ich den geneigten Lesern. Sollte
es jemand in den Fingern jucken, liegt hier genügend auswertbares Material dafür vor.
Einige abschließende Bemerkungen zum aktuellen Stand der Müllentsorgung im Valle Gran Rey:
Der Umweltskandal »Müllkippe Arure« ist heute keiner oder doch zu mindestens kein akut brennender mehr, weil 2007 in der Nähe
der Inselhauptstadt San Sebastian eine Müllverbrennungsanlage in Betrieb genommen wurde. Erinnern wir uns aber daran, dass
Trittin in seinem Schreiben von 2002 als spätesten Termin, bis zu dem eine Lösung gefunden werden musste, 2005 genannt hatte.
Eine ziemlich naive Terminierung, die zeigt, dass Trittin weder eine realistische Vorstellung vom Schlendrian in Europas Süden,
noch davon hatte, wie gemächlich die Mühlen der Brüssler Bürokratie mahlen, wenn sie gegen einen vertragsbrüchigen Mitgliedsstaat
vorgehen müssen.
Auf meinem letzten, nicht ganz freiwilligen Bustransfer8) von San Sebastian ins Valle Gran Rey ist mir nicht aufgefallen, dass der
Charme der Insel – wie von der Redaktion des Valle-Boten befürchtet – durch die Anlage gelitten hat. Im Internet ist kaum etwas,
auch nichts Negatives über die Anlage zu finden. Ob Schmiergelder bei deren Bau geflossen sind, ist mir nicht bekannt und auch
wenig von belang. Ziemlich sicher dagegen ist, dass wohl wieder reichlich EU-Gelder geflossen sind. Entgegen den Befürchtungen
des Valle-Boten ist daher zu hoffen, dass mit der Anlage ordentlich Profit gemacht wird, damit sie nicht wie so vieles in Europa
am Tropf der EU, also vor allem des deutschen Steuerzahlers hängt.
Obwohl ich zur Hochsaison auf der Insel war, ist mir im Valle Gran Rey kein Verkehrschaos und schon gar kein durch Mülltransporte verursachtes
aufgefallen. Vernünftigerweise wird der Müll in den späten, um nicht zu sagen frühen Nachtstunden abgeholt, wodurch Abfalltransporte und
Tourismusverkehr einander geschickt ausweichen. Als unerwünschte Nebenwirkung (zumindest aus touristischer Sicht) führt dies im Bereich
von Gastronomieschwerpunkten schon mal zu erheblichen Lärmbelästigungen in den nächtlichen Abendstunden. Den Wirten selbst scheint dies
egal zu sein, denn die kippen ihre leeren Weinflaschen auch noch zu Schlafenszeiten laut klirrend in die Sammelbehälter.
Der Stein des Anstoßes, die Müllkippe in Arure, ist immer noch gut erkennbar, scheint aber tatsächlich für Müllanlieferungen
gesperrt zu sein. Erfreulich auch, dass ich bei meiner diesjährigen Wanderung keine Drecksfahne auf der Meeresoberfläche beobachten
konnte. Doch der Eindruck mag täuschen, denn die Müllkippe ist nur stillgelegt und nicht saniert worden. Dem verwahrlosten
Anschein nach wird sie von den Umweltbehörden nicht einmal überwacht. Nach Starkregenfällen ist zu erwarten, dass sie den in
ihr schlummernden reichhaltigen Giftcocktail wohl weiterhin ungefiltert ins schöne blaue Meer entlässt. Ein schwärendes Problem,
über dessen Lösung man vielleicht in zehn Jahren – die Bereitstellung weiterer EU-Millionen vorausgesetzt – ernsthafter nachdenken wird.
Anmerkungen:
1) Die Sammlung und stoffliche Verwertung von Plastikverpackungen im Gelben Sack ist eine ökologische und ökonomische Katastrophe,
die geeignet ist, auch eine robuste Volkswirtschaft nachhaltig zu schädigen. Sie rechnet sich nur, weil sie vom Dualen System über
Lizenzgebühren subventioniert wird, die von den lizenzpflichtigen Unternehmen wiederum über den »Grünen Punkt« (also den Verbraucher)
refinanziert werden. Rund 93 % allen geförderten Öls wird in Heizungen und Autos verbrannt, ausgerechnet die restlichen 7%, aus
denen Produkte wie Verpackungen hergestellt werden, sollen mit höchstem Energie-, Zeit- und Kostenaufwand recycelt statt ebenfalls
verbrannt zu werden. Ca. 50 % des in Gelben Säcken aufwendig gesammelten (und womöglich auch noch gereinigten) Verpackungsmülls
wird schon an den Sortierbändern aussortiert und zu sogenanntem Gewerbemüll umdeklariert. Dieser Gewerbemüll (der allerdings nicht
nur aus Verpackungen, sondern auch aus Fehlwürfen besteht) wird anschließend wieder mit dem normalen Müll vermischt und energetisch
verwertet. Merke: Getrennt sammeln, gemeinsam verbrennen! Der zur Wiederverwertung aussortierte Teil der Leichtfraktion wird im
In- und Ausland je nach Verpackungsart mal mehr und mal weniger umweltgerecht, aber in fast jedem Fall nicht
marktwirtschaftlich (also subventioniert) recycelt. Ein großer Teil des aussortierten PET-Verpackungsmülls wird z. B. in
Containerschiffen in den ostasiatischen Wirtschaftsraum vor allem nach China (das für seine niedrigen Umweltstandards bekannt ist)
exportiert, um dort stofflich verwertet zu werden.
2) Um die Abgeschiedenheit und Fremdartigkeit des ›deutschen‹ Aussteigerparadieses zu betonen, wird gerne darauf
hingewiesen, dass La Gomera geographisch zu Afrika gehört. Das Inselmagazin »Der Valle-Bote« bezeichnet die Insel ironisch
als ›Deutsch-Südwest‹ oder letzte deutsche Kolonie in Afrika. Die Realität ist eine andere: Am 01.01.2002 wurde auch in La Gomera
der Euro eingeführt. Dies machte mir unzweifelhaft klar, dass die Insel zum europäischen Wirtschaftsraum, ja sogar zum privilegierten Kern der
Euro-Länder gehört und eine wild-wüste brennende Müllkippe daher nicht als ortsüblich hingenommen werden kann.
3) Zum Beispiel sah sich die Europäische Kommission noch in 2003 gezwungen, gegen Griechenland und Spanien
diverse »Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichterfüllung der gemeinschaftlichen Vorschriften über die Allgemeine Abfallbewirtschaftung,
gefährliche Abfälle und Abfalldeponien« einzuleiten. Auf La Gomera war davon übrigens nicht die Müllkippe in Arure, sondern
die in einem Naturschutzgebiet liegende rechtswidrige Deponie »Punta Avalos« betroffen, auf der damals die Siedlungs- und Sonderabfälle der
Inselhauptstadt San Sebastian entsorgt wurden.
4) Trittin ist regelmäßiger Gast auf La Gomera. Selbst der Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte Trittin
schon einmal zufällig bei dessen Anreise nach Gomera am Flughafen von Teneriffa getroffen. Da die Grünen 1998 im Wahlkampf damit punkten wollten,
jedes Flugticket mit dem Aufdruck »Flugreisen belasten die Umwelt« zu versehen, bemerkte Schröder süffisant, dass der »aber nicht mit dem Fahrrad«
unterwegs war. Wohl um sich vor solchen Anwürfen zu schützen, rechnet Trittin seine Flugreisen zwischenzeitlich über atmosfair ab.
Diese Initiative finanziert mit Spendengeldern Projekte, in denen die bei Flugreisen entstandenen CO2-Emissionen an anderer Stelle wieder eingespart
werden sollen (u. a. durch Solarküchen in Indien oder Biogasanlagen in Thailand). Da möchte man hinzufügen: Schon wieder dieser ekelhafte
Ablasshandel in Zusammenhang mit diesen Ökosünden!
5) Der Versuch der deutschen Gomera-Exilanten, sich aus dem Rest der Welt auszuklinken, gilt schon längst als gescheitert. Der Redakteur
Tomas Niederberghaus (2005) hat dies im Artikel »Die Stiefkinder der Sonne« auf den Punkt gebracht: »Die einträchtige Kommune ist in touristische
Parallelgesellschaften zersplittert. Die Fraktion der Mountainbiker hat nichts zu tun mit den Lesben, die im Tambara Café mit wenig entspannten Gesichtern aufs
Meer starren. Die Lesben wiederum meiden den Kontakt zu den werdenden Müttern, die schon morgens um sieben in Gruppen am Strand joggen (...) Die werdenden
Mütter gehen schließlich den wandernden Rentnern aus dem Weg. Und die Rentner pflegen selbstredend keinen Umgang mit den aus der Zeit gefallenen Freaks.
Allen gemein ist nur die deutsche Sprache.« Und dass sie alle ins älteste Internetcafé am Ort, dem »Bar Internet« in La Playa,
gehen und gelegentlich den Valle-Boten lesen, könnte man ergänzen.
6) Um die Mobilität von Touristen sorgt man sich nur deshalb, weil sie die einzige zuverlässige Einkommensquelle der Althippies sind, die
schon lange nicht mehr von Bananen allein leben können und wollen.
7) Der international erfahrene Redakteur Bernhard Ziesemer bemerkte 1998 in der Wirtschaftswoche: »Das ganze duale System
erinnert ein wenig an die gerade gescheiterte Vetternwirtschaft in Indonesien: Der Staat sorgt durch immer neue Verordnungen dafür, daß private
Monopole gut verdienen, die ihrerseits aufs engste mit Politikern verbandelt sind.«
8) Dieser Transfer war wie so vieles auf meiner Hin- und Rückreise nicht eingeplant. Der Motor der Benchi Express-Schnellfähre, die
mich eigentlich von Los Cristianos direkt ins Valle Gran Rey befördern sollte, war schon auf der Fahrt zum ersten
Zwischenstopp in San Sebastian in die Knie gegangen. Die geschäftstüchtige Reederei Fred Olsen hatte für den alternativen
Transfer ins Valle Gran Rey einen kostengünstigen Doppeldeckerbus gechartert. Dass die Fahrt über die schmale Höhenstraße gelang,
lag wesentlich am Busfahrer, der in den unzähligen Serpentinen hinauf zum zentralen Hochplateau und wieder hinab, trotz der teilweise tief
auf die Straße herunterhängenden Baumkronen des Lorbeerwaldes und selbst bei schwerem LKW-Gegenverkehr nie die Kontrolle über den sperrigen
Bus verlor. Ein von der Überfahrt genervter Mitfahrer bemerkte ironisch, dass der Busfahrer seltsamerweise gerade auf den schnurgeraden
Teilstücken arge Problem gehabt hätte, den Bus in der Spur zu halten! Im Valle Gran Rey angekommen, wurde mir verschiedentlich
versichert, dass dies wohl die Erstüberquerung der Insel mit einem solchem Bus gewesen sei. Auch diesmal sagen wir: Danke Fred Olsen!
Literatur
Anonym (1997): No problem – Nordkorea will deutsche Plastikabfälle übernehmen. – In: DER SPIEGEL 32
Bröckers Mathias (1992): Die Reinkarnation des Mülls. – In: Zeitmagazin vom 06.11.1992, S. 78
Niederberghaus, Tomas (2005) : Die Stiefkinder der Sonne – Deutsche Aussteiger haben den Tourismus nach
La Gomera gebracht. Nun macht er ihnen das Lebens schwer. – In: DIE ZEIT vom 19.05.2005
Wintermann, Jürgen (1992): Wachsende ökonomische und ökologische Selbstblockade. – In: Energiewirtschaftliche Tagesfragen 42/10
Ziesemer, Bernd (1998): Volk der Sammler und Sortierer – Über das Milliardengeschäft mit dem deutschen Müllwahn. – In: Wirtschaftswoche 49 vom 26.11.1998
G.M., 28.02.2010
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›Ein bisschen Qualm muss sein, dann ist die Welt voll Sonnenschein‹: Brennende Bereichsmüllkippe im Aussteigerparadies
Valle Gran Rey (2005): Da kann man gut verstehen, warum der Valle-Bote »der armen Insel den Charme einer
250-Millionen-Euro Müllverbrennungsanlage unter Palmen« möglichst lange ersparen wollte.
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