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Pfeilstorch, Schwalbenhäuptling und Polardinosaurier

1. Pfeilstorch

Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war umstritten, wo Störche, Schwalben oder Kraniche überwintern. Schliefen sie am Grunde von Seen, versteckten sie sich in Höhlen oder hohlen Baumstämmen oder verwandelten sie sich gar in andere Tiere. Der griechische Philosoph und ›Vater der Naturforschung‹ Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) hatte als erster versucht, die Lebensweise der Vögel zu beschreiben. Für die Erklärung des Vogelzuges hielt er sich an die Weisheit der Hirten und Bauern und kam zu der Erkenntnis, dass es drei Kategorien von Vögeln gebe: Jene, die vor dem Winter in den Süden auswichen, jene, die bei großer Kälte von den Bergen ins Tal wanderten und jene, die Winterschlaf hielten oder sich in eine andere Art verwandelten. Und da Aristoteles als große Autorität galt, war man davon überzeugt, dass sich z. B. Kuckucke im Herbst in Sperber verwandelten, weil die ihnen ähnelten und im Winter häufiger zu sehen waren. Von Schwalben glaubte man sogar, dass aus ihnen Sumpfwesen wurden. Andere Naturforscher mutmaßten schon früh, dass Schwalben in den Süden ziehen würden. Sie beriefen sich jedoch weniger auf belastbare Indizien als auf kursierende Anekdoten. So z. B. auf einen gelehrten Geistlichen, der einen Zettel an den Fuß einer fortziehenden Schwalbe mit der lateinischen Aufschrift »Wo hast Du überwintert?« geheftet haben soll. Die Antwort brachte sie im nächsten Frühjahr: »In Indien, im Haus eines Schusters!« An die Lateinkenntnisse eines indischen Schusters wollte jedoch niemand so recht glauben. Bewiesen werden konnte nichts und so gab es viele Spekulationen.

Von Schwalben vermutete selbst noch der berühmte Begründer der biologischen Systematik Carl von Linné (1707 –1778), dass sie sich im Herbst auf dem Grund von Seen versenken würden. Bereits der schwedische Geschichtsschreiber Olaus Magnus (1490-1557) hatte diesem Verhalten der Schwalben in seiner »Historia de gentibus septentrionalibus« ein ganzes Kapitel gewidmet. Er berichtete, dass die Schwalben sich im Herbst aneinander hängen, eine Kugel bilden und sich ins Wasser fallen lassen. Er illustrierte die Geschichte mit einem Holzschnitt, der zeigte, wie nordische Fischer mit ihren Netzen neben Fischen große Mengen überwinternder Schwalben aus einem See bargen. Dass sich diese Legende bis weit ins 18. Jahrhundert hielt, hängt auch mit dem Verhalten der Schwalben zusammen. Die Schwalben sammelten sich zu Zugzeiten in Schilfbeständen (die Landschaft war damals noch nicht verdrahtet), die auch beliebte Übernachtungsplätze darstellten. Man sah also im Herbst die Schwalben im Schilf, und am nächsten Tag waren sie verschwunden, um erst im Frühjahr wieder ›aufzutauchen‹ und über der Wasseroberfläche nach Insekten zu jagen. Hinzu kommt, dass Schwalben bei Wetterstürzen oder nächtlichen Frosteinbrüchen in einen vorübergehenden Starrezustand (»Torpidität«) fallen können. Auch dies mag in Verbindung mit gelegentlichen Todfunden im Schilf die Annahme genährt haben, dass sie sich Herbst in Seen versenken.

Mecklenburger-Pfeilstorch
Am 21. Mai 1822 kam man der Lösung des großen zoologischen Rätsels, wo die Vögel überwintern, ein erhebliches Stück näher. An diesem Tag wurde an der mecklenburgischen Ostseeküste ein seltsamer Storch von einem Strohdach geschossen, der die Bewohner zwei Wochen lang in Aufregung versetzt hatte. In dem Hals des Vogels steckte ein länglicher Gegenstand, der sich bei näherer Untersuchung als ein 80 cm langer Pfeil aus dem zentralen Afrika entpuppte. Der Pfeil hatte sich unterhalb von Luft- und Speiseröhre durch den Hals gebohrt und war dort über eine Verknorpelung angewachsen. Damit lag für den alten Verdacht, dass die Störche im Winter weit nach Süden fliegen, endlich ein greifbares Indiz vor. Und dies lange vor der Zeit, in welcher der Vogelzug mit Hilfe von Ringen als Markierung systematisch untersucht wurde. Der Mecklenburger Pfeilstorch wurde präpariert und in der Zoologischen Sammlung der Universität Rostock ausgestellt, wo er seit dem als Kuriosität bestaunt werden kann.


2. Schwalbenhäuptling

Bis heute sind über 20 Fälle dokumentiert, in denen Weißstörche Pfeile oder Bruchstücke davon aus Afrika nach Mitteleuropa mitbrachten, aber keiner ist so berühmt geworden, wie der Mecklenburger Pfeilstorch. Der unfreiwillige Transport von kulturellen Mitbringseln durch Zugvögel ist übrigens keine Einbahnstraße, wie die folgende Geschichte zeigt: Mitte der 1990er Jahre war bekannt geworden, dass Rauchschwalben nicht nur in den halboffenen Savannenlandschaften südlich des Äquators überwintern, sondern auch in einem Regenwaldgebiet in Nigeria. So liegt in der Nähe des kleinen Urwalddorfes Ebbaken-Boje auf einem steilen Berg, der wie eine Insel aus dem Regenwald herausragt, vermutlich einer der größten Schlafplätze für Rauchschwalben in Afrika. Allabendlich fallen hier kurz nach Sonnenuntergang weit mehr als zwei Millionen Rauchschwalben mit ohrenbetäubenden Gezwitscher ein und verdunkeln den Himmel. Sie übernachten in dichten, bis zu fünf Meter hohen Elefantengrasbeständen, mit denen der Berg bewachsen ist. Nach Kalkulationen sollen im Zentrum der Grasbestände bis zu 80 Schwalben pro Quadratmeter übernachten.

Allerdings konnten die Vögel dort nicht ungestört schlafen, denn die Dorfbewohner betrachteten die Schwalben als wichtige Nahrungsressource im proteinarmen Regenwald. Die Einheimischen benutzten hierzu lange Stöcke mit Palmzweigen, die mit einer klebrigen Gummimischung präpariert sind. In klaren Mondnächten kletterten die jungen Jäger den Berg hinauf und versteckten sich im hohen Gras. Wenn die Schwalben einzufallen begannen, wedelten sie mit ihren Stöcken durch die Vogelmassen und fischten Schwalben heraus, die an den Palmzweigen kleben blieben. Gute Fänger sollen es in einer Nacht auf bis zu 800 Schwalben gebracht haben und pro Saison wurden allein in dem Urwalddorf Boje-Enyi mindestens 200.000 Schwalben gefangen. Das entspräche immerhin dem Brutbestand der Rauchschwalben in Westfalen. Nach dem Fang kümmerten sich die Frauen um die Vögel. Sie wurden gerupft und ausgeweidet und anschließend gegrillt, der Suppe beigegeben oder zu Konservierungszwecken geräuchert.

Trotz aller Entrüstung über den massenhaften Schwalbenfang mussten die europäischen Naturschützer einräumen, dass die Nutzung der Ressource Schwalben nachhaltig war. Per Häuptlingsdekret durfte niemand auf den Schwalbenbergen Gras abbrennen oder zu früh oder in zu geringen Zeitabständen auf die Jagd gehen. Und dieser ›Schwalbenhäuptling‹ war es auch, der für die Forscher von großem ›ornithologischem‹ Interesse war. Er trug als Schmuck eine Kette um den Hals, die aus lauter Ringen von in Europa markierten Schwalben zusammengesetzt war. Die Ornithologen hatten keine Probleme, den Häuptling zu überreden, die begehrte Kette der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Auch die traditionelle Art der Bejagung ist seit 1995 vorbei. Die Dorfbewohner hatten signalisiert, dass sie zur Beendigung des Schwalbenfanges bereit seien, wenn eine Alternative zur Verfügung stehen würden. Diese Alternative fand sich in Form eines durch Spendengelder finanzierten Schweinefarm-Projektes (»Swallow Piggery Farm-Project«). Zudem wurde ein Gästehaus gebaut, in dem Öko-Touristen logieren sollen, die sich das allabendliche Schwalbenspektakel nicht entgehen lassen wollen.

Rauchschwalben
Auf die Geschichte mit dem ›Schwalbenhäuptling‹ bin ich Ende der 1990er Jahre aufmerksam geworden. Damals hielt der Ornithologe Dr. Karl Heinz Loske in der kleinen Bauernschaft Öchtringhausen in Lippstadt bezeichnenderweise im Gasthof »Zur Schwalbe« einen Vortrag über das Rauchschwalbenrettungsprojekt in Nigeria. Herr Loske erzählte damals, dass man die Dorfbewohner in Ebbaken-Boje auch damit überzeugt hätte, den Schwalbenfang aufzugeben, in dem man ihnen vorschwindelte, dass die Schwalben in ihren europäischen Brutgebieten ein außerordentliches hohes Ansehen genießen würden. Das stimmt bekanntlich schon längst nicht mehr. Die Schwalben sind zwar auch heute noch in großen Teilen der Bevölkerung Sympathieträger, da sie nach einer langen gefährlichen Reise den Frühling ankündigen. Aber die Zeiten, wo Schwalbennester an Hauswänden oder in Viehställen als Glücksbringer galten, weil sie Bewohnern oder dem Hof Wohlergehen versprachen, sind lange vorbei. Der Homo hygienicus fürchtet den Dreck, der mit Brutplätzen verbunden ist.

Der Bestand der Rauchschwalben ist in den letzten Jahrzehnten in Westeuropa drastisch eingebrochen. Die teilweise Beendigung des Schwalbenmassenfanges in Nigeria (neben Ebbaken-Boje gibt es noch andere Dörfer in, in denen Schwalben als proteinreiche Nahrungsergänzung genutzt werden) hat da keine Trendumkehr bewirkt. Die Hauptursachen für den Rückgang liegen eben in den europäischen Brutgebieten und nicht in den afrikanischen Winterquartieren. Gründe sind die zunehmenden Schwierigkeiten der Schwalben geeignete Nistplätze zu finden. Aufgrund der Modernisierung landwirtschaftlicher Gebäude sind in vielen Ställen keine Einflugmöglichkeiten mehr gegeben und die abnehmende Viehhaltung und zunehmende Hygiene führt wegen Insektenmangel zu Nahrungsengpässen. Vor allem bei Schlechtwetterperioden, wenn in der ausgeräumten Agrarlandschaft keine guten Nahrungsgebiete, wie z. B. windgeschützte Baumreihen, beweidete Grünlandflächen oder Misthaufen – und als letzte Möglichkeit – das Innere von Ställen zur Verfügung stehen, kommt es rasch zu Brutverlusten. In vielen Teilen Mitteleuropas haben sich die Bestände nach Einbrüchen in den 1980er Jahren trotz einer Folge warmer Sommer aufgrund der massiven agrarstrukturellen Veränderungen nicht mehr erholt.

3. Polardinosaurier

Die Ornithologen sind aufgrund von Laborexperimenten und Feldversuchen davon überzeugt, dass das Zugvogelverhalten nicht mehrmals unabhängig voneinander durch mutative Sprünge, sondern schon sehr früh entstanden ist. Man geht sogar davon aus, dass der Vogelzug so alt wie die Vögel selbst ist. Kreuzungs- und Selektionsexperimente haben zwar gezeigt, dass Zug- und Standvogelverhalten auf unterschiedlichen genetischen Grundlagen beruhen, aber dennoch etwa bei klimatischen Veränderungen sehr schnell ineinander übergehen können. Wenn aber die ersten Vögel schon Zugverhalten gezeigt haben, dann liegt der Verdacht nahe, dass auch ihre nächsten Verwandten, die Dinosaurier schon jahreszeitliche Wanderungen unternommen haben. Ein wichtiges Indiz dafür sind die zahlreichen Dinosaurierfossilien, die man in Landmassen wie der Antarktis, Südaustralien, Neuseeland und Nordalaska gefunden hat, die in der Kreidezeit sehr polnah lagen. Diese Saurier hätten damals, um den kalten, dunklen Wintern zu entfliehen, im Jahresverlauf Wanderungen von weit über 5.000 km unternehmen müssen.

Dass gerade die schwergewichtigen Polardinosaurier solche ausgedehnten saisonalen Wanderungen unternommen haben, erscheint aber ganz unwahrscheinlich, da nur wenige terrestrische Säugetiere, wie z. B. das Karibu in der Lage sind, annähernd vergleichbare Distanzen im Jahresverlauf zurückzulegen. Zudem hätten die Dinosaurier über eine noch größere Stoffwechseleffizienz als die mit ihnen verwandten Vögel, die bekanntlich im Flug noch viele größere Distanzen überwinden können, verfügen müssen. Die Paläontologen versuchen das Rätsel zu lösen, in dem sie das damalige Klima innerhalb der Polarkreise (nördlicher und südlicher Breitenkreis, an dem am Tag der Wintersonnenwende, die Sonne gerade nicht mehr aufgeht) als möglichst gemäßigt betrachten und die Dinosaurier möglichst winterhart machen. Es wird sogar darüber spekuliert, ob die riesigen Dinosaurier sich während des langen Polarwinters eingegraben und einen Winterschlaf gehalten haben. Mit diesen eher unwahrscheinlichen Hilfshypothesen (die z. T. mindestens so absurd wie das winterliche Versenken von Schwalben in Seen erscheinen) sollen die für das Überleben der Polardinosaurier erforderlichen jahreszeitlichen Wanderungen verkürzt oder gar überflüssig gemacht werden.

Leider ziehen die Paläontologen nicht in Betracht, dass es noch eine andere, viel elegantere Erklärung gibt, um das Rätsel der Polardinosaurier zu lösen. Und die besteht in dem Modell der expandierenden Erde. Diese heute zu unrecht vom wissenschaftlichen Mainstream verschmähte Theorie erklärt die Kontinentaldrift nicht durch Subduktionsvorgänge sondern durch eine Vergrößerung des Erdradius. Ein Hauptargument für das Expansionsmodell besteht darin, dass sich bei einer Reduktion des Erdradius um ca. 50 % sämtliche Kontinente aneinanderfügen lassen und die gesamte Erdkugel nahezu lückenlos bedecken. Mit einer kleineren Erdkugel und einer geringeren Gravitation könnte man viel Probleme, die mit dem hohem Gewicht und den großen saisonalen Wanderungen der Polardinosaurier verbunden sind, elegant lösen. Wissenschaft ist ein Indizienprozess und in Sachen Kontinentalverschiebungs- gegen Expansionstheorie spricht mit Blick auf die vielen Rätsel um die Dinosaurier so ziemlich alles für das Modell einer expandierenden Erde.


Literatur

Bell, Phil R. u. Snively, Eric (2008): Polar dinosaurs on parade: a review of dinosaur migration. – In: Alcheringa – An Australasian Journal of Paleontology 32, 271 – 284

Bertold, Peter (2001): Vogelzug als Modell der Evolutions- und Biodiversitätsforschung. – Vogelwarte Andechs u. Radolfzell, Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie

Kinzelbach, Ragnar K. (2005): Das Buch vom Pfeilstorch. – Rostock

Loske, Karl-Heinz (1996): Ein wichtiger Schlafplatz europäischer Rauchschwalben Hirundo rustica in Nigeria und seine Bedrohung. – Limicola 10, 42-48.

Moores, Charlie (2006): Protecting roosting swallows in West Africa: Pierfrancesco Micheloni and Ebbaken-Boje

Salomonsen, Finn (1969): Vogelzug. – München

G.M., 18.07.2009

 

 

Schwalbenfischer

Als man noch nicht wusste, dass Schwalben im Herbst nach Süden ziehen, sondern glaubte, sie würden auf dem Grunde von Gewässern überwintern, wurden nach Auffassung von Gelehrten bei winterlichen Fischzügen neben Fischen auch jede Menge Schwalben gefangen. Erst seit einigen Jahren weiß man, dass Schwalben in ihren afrikanischen Winterquartieren tatsächlich massenhaft gefangen werden und eine wichtige Nahrungsressource sind.

 
   


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