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Es grünt am Haus, es wächst der Streit
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Diese beiden Gärten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, liegen unmittelbar benachbart in
einer Reihenhaussiedlung. Ursprünglich waren sie nur durch einen Zaun getrennt, bis der Eigentümer
des linken Gartens auf Anpflanzung einer Hecke drängte. Er fühlte sich durch Anblick des
verwahrlosten Nachbargartens im Genuss seines gepflegten Gartens gestört und sah durch den
wuchernden Wildwuchs seinen Garten einer ständigen Bedrohung durch einwanderndes Unkraut
ausgesetzt.
In dem etwas verwildert aber auch romantisch erscheinenden rechten Garten sind nur die
Fliedersträucher im Hintergrund, die (zwischenzeitlich weitgehend von Schlingknöterich
und Gartengeißblatt überwucherte) Hainbuchenhecke und ein Johannisbeerstrauch in der
Bildmitte rechts gepflanzt. Alle anderen Pflanzen in diesem Garten entstammen der
Samenbank des ursprünglich aufgetragenen Mutterbodens oder Diasporen, die aus in
einem in Nähe liegenden Park oder benachbarten Gärten eingewandert sind.
Vor den Fliedersträuchern hat sich ein Giersch-Polykormon ausgebreitet, das mit scharfer,
vermutlich durch den Faktor Licht verursachter Grenze von einem Goldruten-Polykormon im
Vordergrund abgelöst wird. Polykormone breiten sich durch austreibende unterirdische
Sprossabschnitte oder Rhizome aus. Die beiden Damen im Stile ländlicher Volkskunst sind
eine Installation, die sich durch ihre spontane Berankung mit der Selbstkletternden
Jungfernrebe bezaubernd in das Gesamtbild einfügen.
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Mit Selbstkletternder Jungfernrebe berankte Garten-Jungfer im Stile ländlicher Volkskunst
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Die Blühfolge des Gartens sieht in wie folgt aus: Im Mai blüht der Flieder mit blauvioletten
Blütenständen, von Juni bis Juli dann der Giersch mit weißen Blütendolden und von August bis
Oktober die Kanadische Goldrute mit ihren üppig gold-gelben Blüten. Ergänzend blüht von Mai bis
Juli das Gartengeißblatt in trompetenförmigen, gelblich bis weiß und oft rötlich überlaufenen
Blüten und von Juli bis Oktober der Schlingknöterich dessen Blütenfarbe von weißrosa bis gelb
reicht. Ferner färben sich im Herbst die Blätter der Jungfernrebe scharlach- bis purpurrot.
Zur Pflege seines kleinen Gartenparadieses engagiert der Eigentümer einmal Jahr im
Spätherbst einen befreundeten Landschaftsgärtner. Der schneidet Hecken, Sträucher und
eingewanderte Bäume (vor allem Bergahorne und Salweiden) sowie den stark wuchernden
Schlingknöterich kräftig zurück. Der Arbeitseinsatz dauert etwas mehr als drei Stunden
und wird inklusive Abfuhr und Entsorgung des Grün- und Strauchschnitts mit rund 250,- €
entlohnt.
Im linken gepflegter erscheinenden Garten dominieren der großzügig mit Pflastersteinen umrandete
Wintergarten, diverse angepflanzte Schmuckstauden und Lebensbäume zur Einfriedung des Grundstücks.
Ursprünglich besaß dieser Garten die gleiche Samenbank wie der rechte verwilderte Garten. Das
Hauptaugenmerk des Eigentümers gilt daher neben der Pflege seiner Stauden und Lebensbäume dem
Kampf gegen das Unkraut. Übers ganze Jahr verteilt investiert er knapp dreihundert Arbeitsstunden
in seinen Garten.
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Den dekorativen Mittelpunkt des gepflegten Schmuckstauden-Gartens bildet
eine mit Stiefmütterchen bepflanzte und von Efeu umkränzte kupferfarbene Grabschale.
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Bekanntlich ist der Kampf gegen das Unkraut in einem Garten, in dem die Stauden auf Lücke gepflanzt
sind, durch Jäten kaum zu gewinnen. Daher versucht er es neuerdings, durch Aufbringen von Rindenmulch
zu ersticken. Inzwischen ist schon die zweite Lage aufgetragen. So einfach lässt sich das Unkraut z. B.
der tief und weit verzweigt wurzelnde Schachtelhalm aber nicht unterkriegen. Und als wenn das nicht
schon ärgerlich genug wäre, beeinträchtigt das feucht-saure Milieu unter dem Rindenmulch das Anwachsen
und Gedeihen der Jungstauden.
Letztes Jahr ist dem emsigen Gärtner vor der linken Rosenstaude in der oberen Bildmitte eine Zierstaude
eingegangen. An selben Stelle sind in diesem Frühjahr einige bodendeckende Blätter ausgetrieben. Der Hüter
des Gartens beäugt sie zwar kritisch, verwechselt sie aber wohl mit den Grundblättern seiner eingegangenen
Staude und lässt sie deshalb wachsen. Tatsächlich handelt es sich um Giersch, ein aus gärtnerischer Sicht ganz
übles Unkraut aus der Kategorie der Terrorpflanzen
Manchmal ist er des ermüdend aussichtslosen Kampfes gegen das Unkraut überdrüssig. Dann setzt er sich in
seinen großen Wintergarten, der von seiner Frau aufs Penibelste sauber gehalten wird. Er vertieft sich
dann in die Bildzeitung, in der ja immer eine Geschichte zu lesen ist, die so empörend ist, dass sie
von den Widrigkeiten des eigenen Alltags ablenkt. Erwischt ihn seine Frau dabei, spornt sie ihn mit den Worten »Herbert,
da wächst schon wieder das Unkraut!« an, sich wieder der Gartenarbeit zuzuwenden
Einmal ist unserem fleißigen Gärtner der Kragen geplatzt, aber nicht wegen seiner Frau, sondern wegen
seinem Nachbarn. Er stellte ihn zur Rede und behauptete, dass sein Kampf gegen das Unkraut so aussichtslos
sei, weil es jenseits der Hecke einen unbedrängten Rückzugsraum habe, von dem es immer wieder in seinen
Garten vordringen würde. Und überhaupt, fügte er hinzu, würde dieser ungepflegte, verwahrloste Garten
nicht in die bürgerliche Reihenhaussiedlung passen!
Da wurde der Eigentümer des kleinen Gartenparadieses, der nichts mehr liebt, als seine Ruhe vor der
Welt und vor seinen Nachbarn, richtig wütend und antwortete: Ihr Garten, mein lieber Nachbar, der
gefällt mir auch nicht, der sieht nämlich aus, wie ein gut gepflegtes hässliches Familiengrab! Seitdem
herrscht Funkstille, d. h. die beiden leben dem äußeren Anschein nach friedlich nebeneinander und jeder
genießt oder erarbeitet sich, je nach persönlicher Neigung, sein Gartenglück.
Nachtrag
Einige Monate nach diesem Streit bekam der Eigentümer des verwilderten Gartens ein Schreiben von der
Stadtverwaltung. Darin hieß es, es sei angezeigt worden, dass sich einer seiner Schlingknöteriche über
die Fliedersträucher einer Straßenlaterne bemächtigt hätte und deren öffentliche Funktion beeinträchtige,
Licht für einen Fußweg zu spenden. Da nur der verärgerte Nachbar dahinterstecken konnte, hieß es nun,
spontane Vergeltungsbedürfnisse im Zaum zu halten und Geduld zu bewahren.
Wieder zogen einige Monate ins Land bzw. in die Gärten. Eines Tages klingelte es an der Tür des
Eigentümers des verwilderten Gartens. Davor stand der Nachbar mit überraschend freundlichem Gesicht und
bat ihn um sein Einverständnis dafür, dass er seinen Wintergarten bis direkt an dessen Grundstücksgrenze
erweitern dürfe. Manchmal konnte der an sich gutmütige und gutherzige Eigentümer des wildwüchsigen
Gartenparadieses richtig stur sein!
Ausblick
Was leben wir doch in einem wunderbaren Land, in dem unmittelbar benachbart lebende Befürworter so
unterschiedlicher Gartenideologien halbwegs friedlich mit einander auskommen. Und weil wir ein gesittetes
Land sind, müssen sie Dank unserer starken Institutionen auch dann miteinander auskommen, wenn das,
was der Eine für normal hält, durch das vermeintlich Anormale des Anderen bedroht erscheint*).
Es untergräbt allerdings die Autorität von Institutionen, wenn sie missbräuchlich dazu benutzt werden,
Stellvertreterkriege zu führen. Doch das ist noch das kleinste Problem. Vielmehr wollen wir hoffen,
dass wir uns auch zukünftig noch über solche schrulligen bis zwangsneurotischen (gärtnerischen)
Weltanschauungen amüsieren dürfen, ohne einen mittelalterlichen Bannfluch oder wie zwischenzeitlich
wahrscheinlicher eine neuzeitliche Fatwa befürchten zu müssen.
Anmerkung
*) Der Journalist und Gartenphilosoph Jakob Augstein hält die Anlegung von Gärten und Gartenzäunen
durch unsere Altvorderen für die Keimzelle der gesitteten Gesellschaft schlechthin (»Beim Graben kommen
die besten Ideen - Auch der politische denkende Mensch gehört in den Garten!« DIE ZEIT
vom 24. Mai 2012: Feuilleton-Titelgeschichte »Das Glück ist grün« ):
»Als der Mensch sesshaft wurde, hat er als Erstes einen Garten angelegt. Und als er das tat, hat
er eine Grenze gezogen. Daran sollte man denken, wenn man sich über Jäger- und Maschendrahtzaun
lustig macht. Der Zaun bedeutet Kultur. Er grenzt eine Fläche ab und schafft einen Raum der
Verantwortung, der Gestaltung. Einen Raum der Ordnung. Es gibt ja ohne Schweigen kein Sprechen.
Und ohne Einsamkeit keine Gesellschaft. Und ohne Ruhen keine Arbeit. Der Garten ist der Gegenort,
ohne den alles nichts ist. Und der Garten ist der Ort der selbstbestimmten Arbeit. Also der Arbeit,
die den Menschen zum Menschen macht. Damit ist der Garten ein politischer Ort«. aus:
Für meinen Geschmack ist das ein gehöriges Maß zu viel an gärtnerischer Metaphysik. Jeder
Kaninchen- oder Dackelzüchterverein könnte ähnlich philosophieren: Ohne Einsamkeit
keine Dackelfreunde und ohne Kaninchenställe keine selbstbestimmte Arbeit. Eigensinnige
Dackel und zuchtreine Rassekaninchen sind es, die den Menschen zum Menschen gemacht haben
.
Zudem sollten auch passionierte Gartenliebhaber bei aller Lust am Garten nicht vergessen, dass
unser christliches Weltbild einer Kultur von Hirtenvölkern entstammt. Und deren Religionsbegründer
wurde nicht in einer Gartenlaube, sondern in einem Hirtenstall geboren!
G.M., 03.06.2012