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»Der Gaitling flöit so schön!«

Singendes Schwarzdrosselmännchen: Hält es seiner Angetrauten einen Ständchen oder bezirzt es die Nachbarin?
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Wenn an lauen Sommerabenden eine Amsel vom Giebel eines Nachbarhauses inbrünstig ihr weithin hörbares melodisches Lied schmetterte, dann pflegte meine Mutter etwas versonnen zu bemerken »Der Gaitling flöit so schön!«. Sie schien in solchen Augenblicken mehr heiter denn melancholisch zu sein. Vielleicht gibt das Gedicht »Schwarzdrossel« von dem Dichter des ›Liedes der DeutschenAugust Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798 – 1984) ihre Stimmung wieder:

»Vom höchsten Wipfel singt hernieder Schwarzdrossel ihre lieben Lieder; Sie singt vergnügt ins Abendroth, Sie kennet keine Sorg' und Not.
Doch unten ohne Sang und Lieder Zieht Mancher heim nach Hause wieder, Geht seines Wege ernst dahin Und höret kaum die Sängerin.
Ich aber bleibe ruhig stehen, Ich muß sie hören, muß sie sehen: Willkommen ist mir allezeit, Wer mit mir teilet Freud' und Leid.«

Vielleicht wird meine Mutter auch gedacht haben, dass der schöne schwarze Drosselmann mit seinem leuchtend gelb-orangen Schnabel nicht nur sie mit seinen »lieben Liedern« erfreut, sondern auch seiner AP]">Angetrauten, die gerade in einem Gebüsch oder Schuppen versteckt den Nachwuchs behütet, ein Ständchen hält. Später habe ich dann gelernt, dass für Ornithologen singende Männchen als Revier- und Brutnachweis gelten und der Vogelgesang der effektiven Reviermarkierung und der Abschreckung von Rivalen diene, also einen nüchternen und nicht romantischen Grund hat.

Mir kamen diese Erklärungen immer steril vor und Abbildungen, in denen auf Basis der Beobachtung von singenden Männchen die Reviere in Feld, Wald und Siedlung abgrenzt wurden, waren mir suspekt, weil sie auf mich einen ziemlich statischen und reichlich blutleeren Eindruck machten. Wer einmal an einem schönen Sommerabend den inbrünstigen Gesang einer Amsel oder am frühen Morgen die lauten Triller eines Zaunkönigs, der sich fast die Lunge aus seinem Leib schmettert, gehört hat, der kann vielleicht nachvollziehen, dass diese Erklärungen nur die halbe Wahrheit sein konnten.

Es dauerte bis zum Jahre 2000 als mir das Buch »Eros und Evolution – Die Naturgeschichte der Sexualität« (Englischer Originaltitel: »The Red Queen«) des brillanten Wissenschaftsjournalisten Matt Ridley (nicht zu verwechseln mit dem scholastischen Evolutionsbiologen Mark Ridley) in die Hände fiel, bis meine Zweifel in Worte gefasst wurden. Da wurde ich zum ersten Mal darauf aufmerksam, dass unsere Singvögel ein ganz aufregendes und komplexes Liebesleben führen, das den Vergleich, mit dem was wir Menschen in Sachen Herzensangelegenheiten so alles treiben, nicht scheuen braucht.

Dort las ich, dass es bei Vögeln neben Paarbindung und Monogamie reichlichst Untreue gibt. Das eingeübte Bild von den Vogeleltern, die ihre Brut in trauter Zweisamkeit aufziehen und lebenslang treubleiben, ist eine große Täuschung. Herausgefunden hat man dies erst als es über genetische Fingerabdrücke möglich war, Vaterschaftstest zu machen. Da stellte man überraschend fest, dass bei sozial monogam lebenden Singvögeln der Nachwuchs regelmäßig von verschiedenen Vätern stammt. Mit anderen Worten, ›Fremdgehen‹ bildet eher die Regel als die Ausnahme.

Näher anschauen wollen wir uns das Paarungsverhalten von Vögeln am Beispiel der Foto:Georges Laurent]">Heckenbraunelle Prunella modularis. Sie ist ein unscheinbarer kleiner brauner Vogel, der als Symbol für Anstand und Keuschheit gilt. Im Klassiker »Die Vögel von Mitteleuropa« von Johann Friedrich Naumann heißt es: »Es ist ein harmloser, stiller ungeselliger und die Einsamkeit liebender Vogel«. Tatsächlich hat es dieser schlichte Geselle faustdick hinter den Ohren. Dies kam jedoch erst ans Licht als britische Forscher in den 1980er Jahren die soziale Organisation der Heckenbraunelle untersuchten*):

»In einer hervorragenden Untersuchung an einer kleinen Population im botanischen Garten von Cambridge fanden Davies und seine Mitarbeiter eine ungewöhnlich, komplizierte soziale Organisation. Einige Männchen verpaaren sich mit mehr als einem Weibchen (entweder allein oder in Assoziation mit einem anderen Männchen), andere Männchen sind dagegen monogam, wobei sich einige jeweils ein Weibchen mit einem weiteren Männchen teilen (Polyandrie), und schließlich gibt es einige Pechvögel, die unverpaart bleiben, obwohl sie ein Territorium erworben haben. Diese Rangordnung entspricht in etwa der Fähigkeit der Männchen Paarungspartnerinnen zu monopolisieren.

Die erfolgreichen Männchen verteidigen größere Territorien, die somit die Streifgebiete mehrerer Weibchen umfassen. Die Streifgebiete der Weibchen werden kleiner, je häufiger Habitate mit qualitativ guter Nahrung darin vorhanden sind. Dies spricht für die Hypothese, dass das Hauptmotiv der Männchen darin besteht, verstärkt Zugang zu Paarungspartnerinnen zu erlangen, während sich das Hauptmotiv der Weibchen aus der Notwendigkeit ergibt, qualitativ hochwertige Nahrungsressourcen für ihre Nachkommen zu finden. Als man das Nahrungsangebot experimentell erhöhte, verkleinerten sich tatsächlich die Streifgebiete der Weibchen.

Weibchen reagieren jedoch nicht einfach nur passiv auf Nahrungsverfügbarkeit. Sie ziehen auch Nutzen daraus, mit zwei Männchen zu kopulieren, weil die Küken später von beiden Männchen gefüttert werden und somit besser überleben. Eines der beiden Männchen dominiert jedoch das andere und versucht, es zu vertreiben. Das Weibchen dagegen versucht, sich den Annäherungen des dominanten Männchens zu entziehen und mit dem untergeordneten Männchen zu verkehren.

Der Beitrag des untergeordneten Männchens zur Fütterung ist direkt proportional dazu, wie häufig es alleinigen Zugang zum Weibchen gehabt hat, vermutlich weil hiervon seine Chancen auf eine anteilige Partnerschaft abhängen. Männchen erkennen anscheinend ihre ›wahren‹ Jungen nicht, sondern sind gezwungen auf indirekte Weise ihre Chancen, Nachkommen zu zeugen, abzuschätzen. Der Kopulation geht eine komplizierte Balz voraus, bei der das Männchen gegen die Kloake des Weibchens pickt. Das Weibchen sondert daraufhin einen Spermientropfen ab, um vielleicht die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass das Männchen ›glaubt‹, seine Spermien erhielten den Vorrang, so dass es sich lohne, Hilfe zu leisten«.

Früher hielt man bis 90 % der Vögel für monogam. Seit es praktikable DNA-Analysemethoden gibt, ist das rührende Bild von Vogeleltern, die in trauter Zweisamkeit ihre Brut hingebungsvoll aufziehen gründlich dahin. Bei Vögeln gibt es genauso wenig oder selten ein ›vorbildliches‹ Ehe- und Familienleben wie bei uns Menschen. Die Untreue ist sowohl bei Vögeln wie Menschen ein prägende Kraft des Paarungssystems**). Dies ist keine Rechtfertigung für Untreue, sondern nur die Erkenntnis, dass Treue wie Untreue gleichermaßen ›natürlich‹ sind und dass es entgegen früherer Vorstellungen auf den Dächern nicht anders zugeht, wie unter den Dächern.

Anmerkung

*) Der folgende die Arbeiten von Nick B. Davis über die soziale Organisation der Heckenbraunelle auf informative Weise zusammenfassende Text stammt aus den Tiefen meines Hardcopy-Archivs. Leider enthielt er keine Quellenangabe. Falls jemand die Herkunft kennt, bitte ich um Nachricht.

**) Genetische Tests in Liverpooler Wohnblocks hatten zum Ergebnis, dass bei mehr als 20 % der Bewohner der offizielle nicht der genetische Vater war. Als man zur Kontrolle die Untersuchungen in einer südenglischen Stadt wiederholte, kam man zu dem gleichen Ergebnis.

(Weiterführende) Literatur

Burke, T., Davies, N.B., Bruford, M.W. & Hatchwell, B.J. (1989): Parental care and mating behaviour of polyandrous dunnocks Prunella modularis related to paternity by DNA fingerprinting. – In: Nature 338, 249-251.

Davies, N.B. (1983): Polyandry, cloaca-pecking and sperm competition in dunnocks. – In: Nature 302, 334-336.

Ridley, Matt (1998): Eros und Evolution. Die Naturgeschichte der Sexualität. – München

Schmoll, Tim (2002): Seitensprung mit Folgen - das außereheliche Liebesleben der Singvögel. – In: Naturschutz heute 3, 46-47

Seefeldt, Katja (2007): Qualitätsnachschub vom Nachbarn. – In: Heise-Onlinemagazin TELEPOLIS-Wissenschaft

G.M., 08.08.2010

 

Als Kinder glaubten wir, dass es zwei Sorten von Amseln gibt, einmal pfiffige Amseln, die sofort wegflogen, wenn wir uns ihnen näherten und dann dumme Amseln, die man mit einem Schuhkarton fangen konnte. Letztere erkannten wir nicht nur am Fluchtverhalten, sondern auch an ihrem etwas schlichteren Gefieder und ihren kurzen Schwänzen. Später stellte sich heraus, dass die dummen Amseln Jungvögel waren, die noch nicht richtig fliegen konnten und am Boden von den Eltern gefüttert wurden. Zum Glück haben wir sie, wenn wir abends wieder ins Haus mussten, freigelassen, auch weil wir wenig mit ihnen anstellen konnten.

 
   


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