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Dinosaurier. Die Kulturgeschichte Alexis Dworsky

Dinosaurier. Die Kulturgeschichte
Wilhelm Fink Verlag, München 2011, 237 S., 29,99 €

Auf den Autor Alexis Dworsky dieses ›sensationellen Buches‹ bin ich vor etwa zweieinhalb Jahren bei einer Internetrecherche aufmerksam geworden. Damals hatte ich mich noch mit dem Kassler Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera herumgeschlagen, der pünktlich zum Darwinjahr 2009 sein schrulliges Werk »Tatsache Evolution – Was Darwin nicht wissen konnte« auf den Markt geworfen hatte. Darin war mir eine Abbildung aufgefallen, in der ein Dinosaurier seinen langen Schwanz über den Boden schleifte. Da die Gestalt von Dinosauriern und die Art wie sie sich bewegten im Verlauf ihrer paläontologischen Rekonstruktionen drastischen Veränderungen unterworfen war, wollte ich an der Abbildung zeigen, dass Kutschera dazu neigt, Naturwissenschaft als eine kontextfreie ziemlich ahistorische Angelegenheit zu vermitteln. Bei meiner Recherche stieß ich dann auf den Artikel »Die sich wandelnde Idee des Dinosauriers«, ein ausgesprochen lesenwertes Exposé zu Dworskys geplanter Dissertation. Darin ging es weniger um die Rekonstruktion der physischen Natur von Dinosauriern anhand von fossilen Knochen, als darum, wie sich die Ideen von seiner physischen Natur in den letzten 200 Jahren entwickelt oder verändert haben.

Das Exposé erinnerte mich an den forsch-fröhlichen Beitrag »Vom Dodo lernen – Öko-Mythen um einen Symbolvogel des Naturschutzes«, den ich zusammen mit meinem Mentor Prof. Dr. Gerhard Hard, Universität Osnabrück, in einem Fachmagazin für Naturschutz und Landschaftsplanung publiziert hatte. Darin hatten wir ein bisher ungeschriebenes naturschutzideologisches Gesetz formuliert: »Die vom Naturschutz privilegierten Geschöpfe werden – auch wenn sie zuvor Ausbunde von Hässlichkeit und Grundlage von Schimpfwörtern (z. B. Frösche, Lurche, Molche) waren – immer schöner oder eben wie der ehemals fette Dodo immer schlanker!« Aufgrund der ähnlichen Herangehensweise an das Thema hatte ich mich bei Dworsky erkundigt, ob er unseren Dodo-Artikel aus 2001 kennt und ob er mir Literatur zum Wandel von Dinosaurier(re)konstruktionen empfehlen kann. Dworsky wies mich auf das Buch »The Last Dinosaur Book: The Life and Times of a Cultural Icon« von W.J.T. Mitchell (1998) hin. Mitchell, der eine wichtige Quelle für seine Arbeit sei, sähe darin den Dinosaurier als reines Symbol und habe damit unter Paläontologen eine ähnliche Lawine losgetreten, wie unser (ihm bereits bekannter) Dodo-Aufsatz unter Naturschützern.

Der Künstler und Forscher Alexis Dworsky hatte mich neugierig gemacht. Seine damalige Website enthielt einen knappen aber humorigen Lebenslauf. Nach dem Geburtsdatum und -ort folgte nicht etwa die Schulzeit, sondern der für einen um seine Existenz ringenden Künstler obligatorische (hier allerdings ironisch gemeinte) Hinweis auf eine sehr schwere Kindheit! Außerdem gefiel mir, dass seine Dissertation (die wie wir zwischenzeitlich wissen eine die ganze Person in Anspruch nehmende, ernste Angelegenheit ist) ihn nicht davon abhielt, witzige Kunst-Aktionen durchzuführen. So schlich er spätabends heimlich in großen Dino-Schneeschuhen um Rodelhänge oder Kindergärten herum und schaute sich am nächsten Morgen die Tumulte und das Rätselraten der Kinder an. In deren Alltag sind Dinosaurier zwar außerordentlich präsent, aber eben doch nicht so real, dass sie Spuren im Schnee hinterlassen. Etwas blauäugig fand ich den knappen Zeitplan (zwei Jahre!) für die Ausarbeitung seiner Dissertation, zumal Künstlern der Ruf vorauseilt, eher nach Lust und Laune als nach striktem Arbeitsplan vorzugehen. Tatsächlich verzögerte sich die Abgabe der Arbeit um knapp ein Jahr, allerdings aus anderen Gründen als von mir vermutet.

Dworsky mit Dino-Schneeschuhen Lepusaurus rex, ein von Dworsky zum Dino manipulierter Rest eines Hasenbratens

Der klug gewählte Aufhänger für Dworskys Dinosaurierarbeit ist ein Neujahrs-Hasenbraten oder genauer gesagt der Rest eines Hasenbratenmenus. Als er den betrachtete, sei er auf die Idee gekommen, das Knochengerippe etwas auseinander zu brechen und dann so zusammenzustecken, dass im Nu etwas entstanden sei, dass so aussähe wie ein typisches Saurierskelett. Dem Ergebnis gibt er den Namen Lepusaurus rex. Das ist eine Kombination aus Lepus, dem Gattungsnamen des Hasen und Tyrannosaurus rex, dem wissenschaftlichen Namen für den bekanntesten Dinosaurier. Dworsky folgerte: Wenn es so einfach ist, einen Dinosaurier aus einem Hasen zu (re-)konstruieren, wie vertrauenswürdig sind dann die Saurierskelette, die von Wissenschaftlern zusammengesetzt und in Naturkundemuseen präsentiert werden. Um dies zu untersuchen, gräbt Dworsky nicht nach Knochen, sondern nach Ideen, Bildern und Theorien. Konzeptionell stützt er sich dabei auf den französischen Wissenschaftsforscher Bruno Latour. Der hat eindrücklich gezeigt, dass nicht nur Artefakte, sondern auch Naturphänomene kulturelle Konstrukte sind. Er bezeichnet sie als Faitiche. Dieser französische Neolologismus setzt sich zusammen aus fait (Faktum) und fétiche (Zauber oder Einbildung).

Tom Nagy Lars Kingeinstein
Fossile Saurierskelette werden nicht so lebensnah wie in dieser, für eine Werbekampagne gefakten Fundstätte angetroffen. Saurierfossilien liegen in der Regel als chaotische Anhäufungen von Knochen vor, wie bei dieser berühmten Fundstätte in Utah/USA.

Der Dinosaurier ist also gleichzeitig real und erfunden – ein Hybridwesen aus Fakt und Fiktion, das einem kulturellen Wandel unterworfen ist. Dagegen wollen uns die Naturwissenschaften immer wieder weismachen, dass Dinosaurier nur ein populär gewordenes fossiles Faktum sind. Dworsky zeigt, dass die wissenschaftliche Konstruktion von Dinosauriern aufs engste mit den technischen Entwicklungen des Films verknüpft ist. Bedingt durch die Stop-Motion-Technik in Filmen wie »The Lost World« (1925) erhielten die Saurier ihre träge, kantig mechanische Motorik. Der Regisseur Steven Spielberg hat dann 1993 mit seinem Film »Jurassic Park« durch computeranimierte Bilder so etwas wie einen Paradigmenwechsel in der Wissenschaft ausgelöst. Der Saurierpaläontologe Robert T. Baker (1996) resümiert: Einige der besten Ideen über Form und Bewegungsabläufe der Dinosaurier stammen von Filmleuten! Der Paläontologe Stephen Jay Gould (1995) stellt fest: Bereits bekannte Fossilien wurden neu interpretiert und in den Naturkundemuseen werden die bisher statisch dargebotenen Saurierskelette aufgerichtet, laufend und fast schwebend präsentiert. Gefragt sind nicht mehr gigantische versteinerte Knochen, sondern Indizien für soziale Lebensweisen, Agilität und Vogelähnlichkeit. Die Entwicklung kulminierte später darin, dass in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre in China die ersten gefiederten Dinosaurier entdeckt wurden.

Georg Scharf, 1833 Benjamin Waterhouse Hawkins, 1853
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden die Dinosaurier als überdimensionale Eidechsen gesehen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden die Dinosaurier von dem britischen Naturforscher Richard Owen säugetierähnlich als Krone der reptilischen Schöpfung und Bollwerk gegen erstarkenden Evolutionismus dargestellt.

Um den Wandel der Dinosauriervorstellungen in den letzten 200 Jahre greifbar zu machen, konstruiert Dworsky Idealtypen. Sie bilden nicht die äußerst komplizierte Wirklichkeit ab, sondern sind zu heuristischen Zwecken überhöhte Hypertypen: Das ursprünglichste Saurierbild ist die Rieseneidechse, die mit der Vorstellung der Urwelt als Hölle gekoppelt war. Darauf folgt die Vorstellung des Dinosauriers als Krone der reptilischen Schöpfung, die ein Bollwerk gegen den (prä-)darwinistischen Evolutionismus und ein Spiegelbild viktorianischer Machtgelüste war. Der Saurier des beginnenden 20. Jahrhunderts war der rasante und durch die Lüfte springende Zweibeiner, der mit dem Tanz und Geschwindigkeitsrausch der Roaring Twenties einherging. In weiten Teilen des 20. Jahrhunderts wurde der Dinosaurier als schwerfälliger Koloss gesehen: Gigantisch, dumm und amerikanisch, ein symbolisches Abbild des Großkapitalismus. Das Atomzeitalter und der Kalte Krieg spiegelten sich dagegen im Schizosaurus, d. h. im Kampf zwischen den fossilen Supermächten Saurischia und Ornithischia wider. Dem ultimativen Asteroideneinschlag folgte wie dem drohenden Atomkrieg ein nuklearer Winter. Wer mag da an Zufall glauben, dass es gerade der entscheidend am Bau der Atombombe beteiligte Physiker Luis W. Alvarez war, der später die Theorie aufstellte, dass die Dinosaurier durch einen Asteroideneinschlag ausgerottet wurden.

Charles R. Knight, 1897 Joe Tucciarone, 1999
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden die Dinosaurier wie hüpfende Kängurus und tollende Hundwelpen dargestellt. Die hier abgebildeten Dinosaurier der Gattung Laelaps tragen heute den Namen Dryptosaurus. Der Kampf zwischen Kommunismus und Kapitalismus spiegelt sich als urzeitlicher Systemkonflikt zwischen Tyrannosaurus rex und Triceratops wider. Der alles vernichtende Overkill deutet sich im Hintergrund bereits an.

Die Dinosaurier des Internetzeitalters nennt Dworsky postmoderne Informationsvögel. Sie sind ein besonders komplexer Idealtyp, weil sie in verschiedenste Ideen zerfallen »… die Idee des kleine Dinosauriers, des schnellen, des warmblütigen, der vogelartigen, des kunterbunten, des globalen, des nicht ausgestorbenen, des in der Herde lebenden und in der Meute jagenden, des sowohl kreationistisch als auch evolutionistisch instrumentalisierten, des weiblichen, des intelligenten, des biodigitalen und des zur Realität gewordenen simulierten.« Dworskys detaillierte Ausarbeitung der Idealtypen ist ein gelungener Versuch, etwas Ordnung in den Wirrwarr des Wandels der Dinosauriervorstellungen zu bekommen. Die tatsächliche Entwicklung beschreibt er wie folgt: »Die kulturelle Evolution, die dieses Hybridwesen aus Fakt und Fiktion in den letzten 200 Jahren vollzogen hat, erscheint ähnlich weitreichend komplex und undurchsichtig wie seine biologische Entwicklung während des gesamten Mesozoikums. Stränge von Ideen divergieren, entwickeln sich unabhängig voneinander weiter und – was kulturelle Entwicklungen so ungleich schwerer begreiflich macht – verschmelzen wieder.« Hier möchte ich korrigierend ergänzen, dass auch biologische Entwicklungslinien schwer durchschaubar sind, weil sie ebenfalls dazu neigen, wieder zu verschmelzen (z. B. durch artübergreifende Hybridisierungen, horizontaler Genverkehr oder (Endo-)Symbiosen).

Luis V. Reys, 1999
»The New Chinese Revolution« zeigt die postmodernen Dinosaurier als eine knallbunte Horde tollwütiger Hühner, die auch auf Bäume klettern und so die Entwicklung des Vogelflugs veranschaulichen.

Das Titelbild von Dworskys Buch ist eine Persiflage auf ein altes Godzilla-Filmplakat aus den 1950er Jahren. Den damaligen Plakatslogan »Der sensationellste Film der Gegenwart« hat er ironisierend in »Das sensationellste Buch der Gegenwart« geändert. Damit liegt er nicht ganz falsch, denn sein ebenso erstaunliches wie prächtiges Buch ist ein intellektuelles Lesevergnügen und dazu auch noch mit vielen anschaulichen Bildern und intelligenter Grafik ausgestattet. Der Literaturkritiker Thomas Wörtche bezeichnet es in seiner Rezension »Nix als Dinos« auf CULTurMAG als »ein Musterbeispiel, wie man aus Themen der ›Populären Kultur‹ (...) spannende Bezüge zu fast allen gesellschaftlichen Bereichen herstellen kann (...) und, wie sehr Kontexte auf alles einwirken, was wir unterbewusst für selbstverständlich und sogar evident halten.« Einem dieser gesellschaftlichen Bereiche, nämlich der Hardcore-Naturwissenschaft, wird dieses Buch vermutlich gar nicht gefallen. Sie glaubt bekanntlich, sie würde ihr Bild von Dinosauriern ausschließlich aus fossilen Funden und paläontologischem, biologischem und technischem Wissen rekonstruieren. Von Dworsky wird dies auf überzeugende Weise als sehr einfältiges Bild vom wissenschaftlichen Fortschritt bei der Erforschung von Dinosauriern entlarvt. Die urweltlichen Dinosaurier sind offenbar nicht nur Kindern, sondern auch Naturwissenschaftlern so sehr Projektionsfläche für ihre gegenwärtigen Bedürfnisse, dass sie ihnen faktischer als manch lebende Kreatur erscheinen.

Nachbemerkung

Für den Saurierpaläontologen Robert T. Bakker sind Dinosaurier so etwas wie Masern, Mumps oder Röteln, also eine Art Kinderkrankheit, die meistens nur Buben bekommen. Der Physiker Martin Bäker ist so ein ›Bub‹. Auf ScienceBlogs betreibt er mit »Hier wohnen Drachen« einen der qualifizierteren Blogs. Seine Blogposts über Dinosaurier gehören zu den besten biologischen Beiträgen, die auf ScienceBlogs zu lesen sind. Nach eigener Darstellung hat er sich als Grundschüler mit Dinosauriern infiziert, als er den Film »Reise in die Urwelt« sah. Das mühsame Herauspräparieren von Dino-Knochen aus umgebenden Gestein erschien ihm allerdings als Kind schon wenig attraktiv. Er studierte daher Physik, ein Fach, das ihn auch interessierte und spezialisierte sich später auf die Erforschung des mechanischen Verhaltens moderner Werkstoffe. Das tat seiner Faszination für Dinosaurier aber keinen Abbruch. Im Gegenteil anknüpfend an sein Spezialgebiet beschäftigte er sich mit der Biomechanik der Bewegung von Dinosauriern. Es gelang ihm sogar, Anschluss an die Garde der Dinosaurierforscher zu finden und als Koautor in einem paläontologischen Fachmagazin darüber zu publizieren. Wir sehen, Bäker ist ein beharrlicher und intelligenter Wissenschaftler, dem es wenn auch auf Umwegen gelungen ist, seinen Kindheitstraum zu leben. Allerdings glaubt er – wie so viele Naturwissenschaftler – sich mit reinen Naturphänomenen zu beschäftigen, also Dingen, die alles andere als kulturelle Konstrukte sind und einem komplizierten kulturellen Wandel unterliegen.

Ich bin daher sehr gespannt, ob es Dworsky mit seinem ›sensationellen Dinosaurier-Buch‹ gelingt, seine Grundüberzeugungen zu irritieren und ihn ein stückweit aus der erkenntnistheoretischen Sackgasse herauszuführen, die ihn immer wieder blockiert.

G.M.,01.10.11

  Alexis Dworsky Dinosaurier  

Alexis Dworsky gehört zu den wenigen Künstler, die auch gute Forscher sind. Beim Besuch von avantgardistischen Kunstausstellungen habe ich mich oft gefragt, wie dumm darf ein Künstler eigentlich sein, wenn von einem Kunstschaffenden wieder einmal völlig unreflektiert alarmistische Themen des wissenschaftlichen Mainstreams aufgegriffen wurden. Dagegen adaptiert Dworsky nicht den Mainstream, sondern er stellt ihn mit seinem Werk auf den Prüfstand und gibt dem Wissenschaftsbetrieb auf diese Weise wegweisende Impulse.

 
   


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