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Bernhard Kegel
Die Ameise als Tramp – Von biologischen Invasionen
Ammann Verlag – Zürich 1999, 417 S.

Der promovierte Biologe Bernhard Kegel schreibt in diesem eindrucksvollen Buch über das Phänomen, dass Pflanzen und Tiere dazu neigen, sich über die räumlichen Grenzen ihrer bisherigen Existenz hinaus auszubreiten. In der natürlichen Umwelt gibt es normalerweise kaum überwindbare Hindernisse wie Gebirge, Wüsten oder Ozeane, die sich auch der ausgeprägtesten Reiselust entgegensetzen. So war es für eine europäische Ratte, ein Kaninchen oder einen Fuchs ziemlich lange unmöglich nach Australien zu gelangen. Dies hat sich mit dem Beginn der Neuzeit und der sich rapide ausbreitenden europäischen Zivilisation grundlegend geändert. Heute transportieren Schiffe, Flugzeuge, Eisenbahnen und Automobile nicht nur Menschen und unermessliche Warenmengen zu jedem noch so entfernten Ziel auf unserem Planeten, sondern auch »Natur«, die entweder legal oder als blinder Passagier mitreist

Nicht überall laufen biologische Invasionen so glimpflich wie in Europa ab. Hier hat es bisher noch keine Immigrantenart geschafft, eine alteingesessene Art völlig zu verdrängen. In Neuseeland oder Hawaii, wo der weitaus überwiegende Teil der Arten endemisch ist, sieht dies ganz anders aus. Hier werden die lokalen Populationen massiv von den konkurrenzkräftigen Einwandererarten bedrängt und oft sogar vollständig ausgelöscht. Dies liegt z. B. daran, dass es auf Neuseeland ursprünglich keine bodenlebenden Säugetiere gab. Dort vorkommende Vogelarten sind daher darauf programmiert, dass Gefahr nur aus der Luft droht und haben bis heute nicht gelernt, beim Anblick eines Wiesels oder einer Katze das Weite zu suchen. Wissenschaftler bezeichnen dieses Verhalten als »säugetiernaiv«. Engagierte Naturschützer versuchen, Jungtieren betroffener Arten diese verhängnisvolle ›Instinktlücke‹ in Angstseminaren abzutrainieren.

Dies ist aber bei weitem nicht der einzige Unterschied zu den üblichen Aufgaben eines mitteleuropäischen Naturschützers. Kegel bringt es auf den Punkt: »Naturschutz in Neuseeland heißt in erster Linie töten«! Dutzende Tonnen von Gift werden hier jährlich eingesetzt, um die biologischen Invasoren – und seien sie auch so niedlich wie die pelzigen australischen Fuchskusus – auszurotten. Auf uns ›brave‹ Mitteleuropäer, die wir uns gerade daran gewöhnt haben, den aus dem Kaukasus stammenden und unsere Gesundheit bedrohenden Riesen-Bärenklau mitleidlos zu bekämpfen, wirkt eine solch ›blutiger‹ Naturschutz befremdend. Andererseits geht es hier zweifelsfrei um die Bewahrung von bedrohtem Naturerbe. Kegels Buch macht daher nachdenklich.

Zum Nachdenken regt dieses Buch aber auch noch aus einem anderen, von Kegel vermutlich weniger beabsichtigten Grund an: Lehrt der Darwinismus nicht seit über 150 Jahren, dass sich die Lebewesen im Laufe der Evolution immer optimaler in ihre jeweiligen Umwelten einnischen und Neuankömmlinge daher hoffnungslos benachteiligt sind? Die von Kegel angeführte, große Zahl von gelungenen biologischen Invasionen zeigt, dass dies offensichtlich völliger Quatsch ist. Tatsächlich gelingt es zwar nur einem Bruchteil der Neuankömmlinge, sich zu etablieren, aber diejenigen, die es schaffen, scheinen gerade zu leichtfüßig, entweder neue bisher nicht besetzte Nischen zu finden oder etablierte Arten aus ihren Nischen zu verdrängen. Die Vielzahl erfolgreicher biologischer Invasionen stellt daher eine erhebliche Herausforderung für die darwinistische Vorstellung von der optimalen Einnischung der Arten in ihren jeweiligen Umwelten dar.

Kegel erweckt nicht ganz zu Unrecht den Eindruck, dass der moderne Mensch durch den weltweiten Verkehr eine neue Qualität in das Phänomen biologische Invasionen gebracht hat. Schließlich können solche Invasionen – wie das Beispiel Neuseeland zeigt – das (endemische) Naturerbe ganzer Länder bedrohen. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass massive Invasionen in der bewegten Naturgeschichte unseres Planeten zwar kein alltäglicher aber doch ein relativ normaler Vorgang sind. Der Paläontologe Richard Fortey spricht den biologischen Invasionen der Naturgeschichte die Qualität »militärischer Feldzüge« zu, bei der die »Streitkräfte« mal in diese und mal in jene Richtung vorwärtsdrängen und »Friedensverträge« ganz nach Laune gebrochen werden. Ein bekanntes Beispiel für die Auslösung eines solch verheerenden Feldzuges ist die Bildung einer Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika gegen Ende des Tertiärs. Diese Landbrücke hat es den überlegenen plazentalen Säugetieren Nordamerikas ermöglicht, nach Südamerika einzuwandern, und die dort überwiegend vorhandene Beuteltierfauna massiv zu dezimieren. Solche »Untaten« der Natur, werden von Autoren, die wie Kegel dem Naturschutz nahe stehen, aufgrund ihres positiven Natur- und pessimistischen Menschenbildes gerne verdrängt.

   

 
   


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