Normalerweise wird uns im Alltag nur selten bewusst, dass es Gegenstände und Gefühle gibt, für die
unsere Muttersprache keine Begriffe zur Verfügung stellt. Liest man das Buch »Der tiefere Sinn des Labenz«
wird einem schnell klar, dass es Hunderte davon gibt. Für ihre Benennung haben die Autoren keine
neuen Kunstworte eingeführt, sondern Ortsnamen gewählt.
Ausdrücklich weisen die Autoren darauf hin, dass sie es als ihre Aufgabe betrachten, diese Worte,
die bisher ihr Dasein auf Schildern fristen mussten, von den Wegweisern herunterzuholen, damit
sie einen nützlichen Beitrag zur alltäglichen Unterhaltung leisten und wertvolle Mitglieder der
Sprachfamilie werden.
Der Titel der englischen Originalausgabe von Douglas Adams und John Lloyd (1990)
lautet »The Deeper Meaning of Liff«. Spontan hätte man gedacht, dass dieses Buch,
dem englische Ortsnamen zu Grunde liegen, nicht in die deutsche Sprache übertragbar ist.
Sven Böttcher zeigt, dass eine Benennung bisher unbenannter Sachverhalte auch auf Basis
deutscher Ortsnamen möglich ist; zwar nicht eins zu eins, aber Dank diverser Ergänzungen
ist ihm sogar ein durchaus originelles Werk gelungen.
Nachfolgend eine Auswahl von Begriffen, die mich davon überzeugt haben, dass dieses
Lexikon eine eklatante Lücke in meinem Wortschatz schließt und eine ebenso nützliche
wie amüsante Ergänzung meiner Wörterbuch-Sammlung ist:
Cappeln: Geräusch einer auf dem Straßenpflaster langsam zur Ruhe kommenden Radkappe.
Frankfurt: Die unter der Trennscheibe eines Postschalters eingebaute Mulde oder
Schublade, durch die man u. a. Briefe oder Briefmarken zugeschoben kriegt.
Niederwetz: Die staubige Senke unter einer Schaukel.
Schweigern: Sich weigern zu sagen, weshalb man so verflucht sehnsüchtig ins Leere starrt.
Tübingen: Eine Zahnpastatube zusammenrollen, um den Rest herauszuquetschen.
Überhamm: Essens- und Kochreste, die man im Kühlschrank verstaut, obwohl man
genau weiß, daß man sie nie im Leben verbrauchen wird.
Xanten: Frauen, die nur auf Partys miteinander und sonst nur voneinander reden.
Das Lexikon bringt einem auch deshalb zum Schmunzeln, weil es schonungslos alltägliche
Missgeschicke und peinliche Situationen beim Namen oder genauer gesagt beim Ortsnamen nennt.
Der auf dem Buchumschlag angebrachte Aufkleber,
der ankündigt »Dieses Buch wird Ihr Leben verändern«, ist daher durchaus zutreffend.
Das Wörterbuch versetzt einen nicht nur in die Lage, bisher nicht benannte Sachverhalte zu
benennen, sondern verschafft einem, wenn man z. B. bei Autofahrten auf Ortsschilder trifft,
die bisher nur ein etymologisches Rätselraten oder Unverständnis ausgelöst haben,
Aha-Erlebnisse: ›Kenn ich, bedeutet…‹
Zudem kann es bei langweiligen gesellschaftlichen Veranstaltungen der kommunikativen Erheiterung
dienen, wenn man z. B. die Dame, die immer freiwillig die Getränke holt, als Oberursel oder
den (ungebetenen) Gast, der immer erst gehen muss, bevor es lustig wird, als Hemme bezeichnet.
Und nicht zu vergessen, sind zur Erklärung mancher Sachverhalte humorvolle Illustrationen
eingefügt. Z. B. für den Begriff »Busenwurth«, der die Hautfalte bezeichnet, die aus dem zu
engen Büstenhalter einer Dame lappt.
An diese Illustration habe ich mich erinnert, als ich ein Bild der britischen Schauspielerin
Emma Watson sah, das sie bei der Premiere des letzten »Harry Potter«-Films zeigt. Sticht da
nicht deutlich eine doppelte Hautfalte ins Auge, die wir nunmehr als einseitig doppelte
Busenwurth bezeichnen können und die wir getreu dem Motto »Man sieht nur was man kennt.« ohne
dieses Lexikon womöglich übersehen hätten?!
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»Bronzegöttin« Emma Watson mit einseitig doppelter Busenwurth
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Emma Watson wurde vom britischen »Glamour«-Magazin zur »Best Dressed Women 2011« gewählt
und gilt seither als Stilikone. Auch für das bisher graustufig illustrierte
Wörterbuch »Der tiefere Sinn des Labenz« wäre sie eine farbige Bereicherung.
G.M.,17.12.11