Auf der letzten Seite von Charles Darwins epochalen Werk »Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl« findet sich
eine fast religiös anmutende Beschwörungsformel: »Da alle lebenden Formen die unmittelbaren Nachkommen derjenigen sind,
die lange vor der kambrischen Epoche lebten, so können wir sicher sein, daß die regelmäßige Aufeinanderfolge der Geschlechter
nie unterbrochen war und daß keine Sintflut die Erde verwüstete. Wir dürfen deshalb auch vertrauensvoll eine Zukunft von
riesiger Dauer erhoffen«. Heute wissen wir, dass diese Hoffnung eine gefährliche Täuschung ist, denn bereits mehrmals in
der Geschichte unseres Planeten ist das Leben einer vollständigen Auslöschung nur knapp entgangen.
Darwins visionäres Heilsversprechen markiert eine der größten philosophischen Wendepunkte der Neuzeit. Etwa bis
Mitte des 19. Jahrhunderts beherrschte die von dem französischen Naturforscher Georges Cuvier begründete
Katastrophen- oder Kataklysmentheorie (nach dem griechischen kataklysmos für Sintflut) das naturgeschichtliche
Weltbild. Die Katastrophentheorie war zwar schöpfungsgeschichtlich infiziert – aber keine reine Bibelwissenschaft,
denn auch die stratigraphischen Befunde selbst legten den Gedanken an große Katastrophen nahe. Erstaunlicherweise
gelang es den Verfechtern des verführerischen Bildes von allmählichen erdgeschichtlichen Veränderungen trotz des
widersprechenden empirischen Befundes, sich gegen die Katastrophisten durchzusetzen. Und zwar so gründlich, dass
noch über 100 Jahre später in einem Geologie-Lehrbuch [Beurlen 1975] so wichtige Begriffe wie »erdgeschichtliche
Katastrophen« oder »Massensterben« nicht einmal erwähnt werden.
Nach der von Charles Lyell und Charles Darwin begründeten gradualistischen oder aktualistischen Geologie sind die
wichtigsten Merkmale in Geschichte und Topographie der Erde fast ausschließlich auf langsame (›graduelle‹),
gegenwärtig beobachtbare (›aktuelle‹) Ursachen und eben nicht wie bei der Katastrophentheorie auf sporadische,
katastrophale Ereignisse wie Vulkanismus, Auffaltungen von Gebirgen, Erdbeben oder noch größere Brüche wie
Meteoriteneinschlägen zurückzuführen. Die von Lyell propagierte, kühnste Form dieses neuen Weltbildes, die
uniformitaristische (›gleichförmige‹) Geologie, besagte sogar, dass die Welt im großen und ganzen in der
gesamten erdgeschichtlichen Vergangenheit dieselbe war wie in der Gegenwart. Beispielweise glaubte Lyell, dass
die Hauptgruppen der Tiere (Fische, Weichtiere, Säugetiere usw.) immer schon da waren, und nur von Zeit zu Zeit
innerhalb dieser Gruppen neue Arten entstünden, während andere ausstarben [Olderoyd 1998].
Von Beginn neigten auch die Anhänger gradualistischer Vorstellungen dazu, ihre Theorie bis hin zur
Lächerlichkeit überzustrapazieren. So vermutete ein Wissenschaftler, der Darwins zweifelsfrei vernünftige
Theorie über die Entstehung der Korallenatolle gelesen hatte, dass auch die Mondkrater nichts anderes als
Korallenatolle seien [Gould 2003]. Mit dieser schon damals ziemlich abstrusen Hypothese wollte er die
katastrophentheoretische Interpretation widerlegen, es handele sich um vulkanische Erscheinungen.
Tatsächlich sind Mondkrater zwar keine Vulkane aber noch viel weniger Korallenatolle: Sie sind durch
noch katastrophalere Ereignisse als Vulkanismus, nämlich durch Meteoriteneinschläge entstanden.
Der Lyell-Darwinsche Gradualismus hat bis weit ins späte 20. Jahrhundert die naturgeschichtliche
Forschung bestimmt und behindert. Noch in den 1960er Jahren ließ sich der renommierte deutsche Geologe
Helmut Hölder in der Debatte über die Impakt-Entstehung des Nördlinger Ries zu folgender Äußerung
hinreißen: »Ein Meteoritenschlag ist für die erdgeschichtliche Forschung ein Schlag ins Gesicht,
denn die Erdgeschichte bemüht sich ja gerade, die irdisch-historischen Voraussetzungen für den
Eintritt eines erdgeschichtlichen Ereignisses aufzuzeigen« [zit. nach Engelhardt & Zimmermann 1982].
Heute weiß man, dass ein gewaltiger Meteoritenschlag für die Entstehung des Nördlinger Ries
verantwortlich ist. Die Äußerung Hölders war daher ein Schlag ins Gesicht eines jeden Forschers,
der sich mehr für Fakten als für Ideologien interessierte.
Es ist kaum mehr zu verheimlichen, dass der spöttisch auch als »Allmählichismus« [Heinsohn 2000] bezeichnete
Gradualismus die erdgeschichtliche Forschung um 150 Jahre zurückgeworfen hat. So wurden für das endkreidezeitliche
Massensterben, dessen prominenteste Opfer die Dinosaurier sind, nahezu hundert gradualistische Theorien und
Hypothesen entworfen. Zu den klassischen Ursachen zählen große Meeresspiegelschwankungen infolge
von ›langanhaltenden‹ Klimaveränderungen, Kontinentalbewegungen, Veränderungen im Salzgehalt der Ozeane,
riesige aus der Erde quellende vulkanische Basaltmassen und nicht zuletzt die ›Dummheitstheorie‹, die
besagt, dass die Saurier sterben mussten, weil die evolutionäre Entwicklung ihres kleinen Gehirns hinter ihrer
enormen Körpergröße zurückgeblieben wäre.
Alle diese gradualistischen Thesen werden heute nicht mehr oder nur noch als Folgewirkungen von extraterrestrischen
Ursachen diskutiert. Inzwischen liegen so viele Belege für die These vor, dass das Aussterben der Dinosaurier vor
65 Millionen Jahren durch ein kosmisches Geschoss verursacht wurde, dass sie als Standardwissen Eingang in die
geologischen Lehrbücher gefunden hat. Nur die dümmste aller gradualistischen Theorien, die »Dummheitstheorie«, hat
überlebt, weil sie in der ›grünen‹ Umweltbewegung unter Schlagworten wie »Dinosauriertechnik« oder »small is beautifull« eine
zweifelhafte Karriere gemacht hat. Aber noch geben sich die Gradualisten, für die jegliche Form des Katastrophismus
immer noch einen unwissenschaftlichen Beigeschmack hat, nicht geschlagen. Sie versuchen, den endkreidezeitlichen
Bolideneinschlag als einmaligen kosmischen »Ausrutscher« darzustellen. Alle anderen Massensterben seien nämlich »hausgemacht«.
Der aktuellste Streitfall ist das große Massensterben am Ende des Perm. Vor 250 Millionen Jahren fielen dieser ernstesten
biologischen Krise in der Geschichte unseres Planeten etwa 90 % der damaligen Lebewesen zum Opfer, darunter die bekannten
dreilappigen Krebse, die Trilobiten. Bis erste Indizien für eine Impaktkatastrophe gefunden wurden, reichten auch hier
die Theorien von ›langanhaltenden‹ Veränderungen der globalen Klimabedingungen und fallenden Meeresspiegeln über die
Reduzierung des Sauerstoffgehaltes in den Ozeanen bis hin zu massiven Vulkanismus. In 1996 wurden dann von amerikanischen
Forschern in Gesteinen an der Perm-/Trias-Grenze mikroskopische Quarzkörnchen mit Schockspuren, wie sie typischerweise
bei einem Meteoriteneinschlag entstehen [Kerr 1996].
Dann passierte, was schon aus der schon aus der Diskussion um den endkreidezeitlichen Bolideneinschlag bekannt war.
Zwar konnten sich die gradualistischen Paläontologen nicht mehr – wie noch in den achtziger Jahren – als Inquisitoren
aufführen, aber die Solidität der Ergebnisse wurde über die Maßen angezweifelt, und es wurden stereotyp zusätzliche
Belege gefordert. Wieder einmal zeigte sich, dass katastrophische Theorien besonders argwöhnisch beurteilt werden,
während bei gradualistischen Theorien und mögen sie auch noch so abwegig sein, jede Spekulation akzeptabel ist. In
2001 wurden dann in Gesteinsproben aus dem späten Perm auch extraterrestrische Fullerene gefunden [Becker et al. 2001].
Fullerene sind Käfigmoleküle (»Fußbälle«) aus Kohlenstoff, in denen extraterrestrische Edelgase eingeschlossen sind.
Sie gelangen mit Meteoriteneinschlägen auf die Erde. Und in 2004 fanden Becker und Mitarbeiter sogar einen geeigneten
Kandidaten für einen Einschlagskrater an der Nordwestküste Australiens.
Noch ist die Frage, wer für das größte Massensterben in der Geschichte des Lebens verantwortlich ist, nicht endgültig
entschieden. Aber vieles spricht für eine kosmische Katastrophe. So zeigen Untersuchungen, die sich detailliert mit
der Geschwindigkeit der Artensterben befasst haben, dass die großen Massensterben nicht – wie man früher
annahm – in Zeiträumen von einigen Millionen Jahren, sondern in nur wenigen tausend Jahren abliefen. Für
gradualistische Szenarien ist dies schlicht zu schnell. Darüber hinaus lassen sich die meisten gradualistischen
Hypothesen, wie z. B. der massive Vulkanismus, als indirekte Folgewirkung einer Impaktkatastrophe deuten. Auch bei
einer wissenschaftshistorischen Betrachtung liegt der Eindruck nahe, dass die Verfechter eines Bolideneinschlages
den Streit gewinnen. Es fällt auf, dass gegen die Identifizierung des Einschlagskraters an der Nordwestküste
Australiens genau die selben Argumente vorgebracht, wie in den 1980er Jahren gegen die Entdeckung des endkreidezeitlichen
Chicxulub-Kraters im Golf von Mexiko. All diese Argumente haben sich später als zahnlos erwiesen.
Dieser Beitrag beginnt mit einem beschwörenden Zitat, in dem Charles Darwin den Lesern seines berühmten Werkes versichert,
dass die »regelmäßige Aufeinanderfolge der Geschlechter nie unterbrochen war«, keine »Sintflut die Erde verwüstete« und
dass wir deshalb »vertrauensvoll eine Zukunft von riesiger Dauer erhoffen« dürfen. Das glaubt heute kaum noch jemand! Schon
seit einigen Jahren sprudeln uns aus den »Tickern« der Online-Wissenschaftsmagazine Überschriften wie »Die Sintfluten am
Ende des Perm«, »Todbringender Komet« oder »Einschlagender Erfolg: Schnelles Ende der Dinosaurier« entgegen. Leider wird
aber viel zu wenig darüber berichtet, was getan werden muss, damit wir zukünftig nicht selber die massenhaften Opfer eines
verheerenden Anschlages aus den dunklen Tiefen des Weltalls werden.
Dies mag u. a. daran liegen, dass viele Forscher immer noch versuchen, den Katastrophismus zu verunglimpfen und sich mit
gradualistischen Hypothesen zu profilieren. Sie nehmen dabei leichtfertig in Kauf, die Öffentlichkeit mit ihren
terrestrischen Ursachenkomplexen in falsche Sicherheit zu wiegen. Ein unrühmliches Beispiel ist der österreichische
Geologe (und Impaktforscher!) Christian Köberl, der sich im Dezember 2004 mit der Schlagzeile »Größtes Massensterben
der Erdgeschichte war hausgemacht« in die Medien katapultierte. Wie schon in der Diskussion um das endkreidezeitliche
Sauriersterben sollen es wieder einmal – einzig und allein – gigantische Vulkanausbrüche gewesen sein, die das
Massensterben an der Perm-/Trias-Grenze verursacht haben. Es ist zu befürchten, dass es einer rezenten Impaktkatastrophe
bedarf, damit nicht nur massiver Vulkanismus, sondern auch kosmische Bolideneinschläge als normaler Bestandteil einer
anscheinend unbelehrbar uniformitaristisch interpretierten Naturgeschichte akzeptiert werden.
Literatur
Becker, L. et al. (2001): Impact Event at the Permian-Triassic Boundry: Evidence from Extraterrestrial Noble Gases in Fullerenes. – In: Science 291, 1530
(2004): Bedout: A Possible End-Permian Impact Crater Offshore of Northwestern Australia. – In: Science 291, 1469-1475
Beurlen, K. (1975): Geologie Die Geschichte der Erde und des Lebens. Stuttgart
Darwin, Ch. (1998, zuerst 1859): Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl. – Stuttgart
Engelhardt von, W. & Zimmermann, J. (1982): Theorie der Geowissenschaft. – Paderborn
Gould, St. J. (2003): Die Lügensteine von Marrakesch – Vorletzte Erkundungen der Naturgeschichte. – Frankfurt/M.
Heinsohn, G. (³2000): Wie alt ist das Menschengeschlecht? Stratigraphische Gliederung der Paläoanthropologie und der Vorzeit. – Gräfelfing
Kerr, R. A. (1995): A Shocking View of the Permo-Triassic. – In: Science 270, 1441-1442
Olderoyd, D.R. (1998): Die Biogeographie der Erde. – Zur Wissenschaftsgeschichte der Geologie. – Frankfurt/M.
G.M., 15.12.04