Eine der am weitesten verbreiteten und zugleich am wenigsten reflektierten Denkfiguren naturgeschichtlicher
Forschung ist das pessimistische Bild vom negativen Umgang des Menschen mit ›der Natur‹. Dieses
Bild hat sich im beginnenden 20. Jahrhundert parallel zum Aufstieg der Industriegesellschaft entwickelt und
wird dieser seither immer wieder anklagend vor Augen geführt. Es beschränkt sich allerdings nicht
auf die Verunglimpfung der Menschen des technisch -industriellen Zeitalters, sondern hat sich auf die gesamte
Menschheitsgeschichte ausgedehnt. So neigen auch viele Naturgeschichtler dazu, die eigene Spezies für
alle möglichen nicht oder schlecht verstandenen naturhistorischen Ereignisse verantwortlich zu machen.
Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die sogenannte »Overkill-« oder »Blitzkrieghypothese«.
Sie besagt, dass das Massensterben der großen Landsäuger des Eiszeitalters durch steinzeitliche Jägerkulturen
verursacht wurde, die ›blitzartig‹ in die Lebensräume der Großsäuger einwanderten.
Seit Mitte der 1960er Jahre versuchen ihr glühendster Verfechter, der amerikanische Paläontologe Paul
S. Martin und seine Anhängerschaft, die Geschichte vom steinzeitlichen Massenmord hoffähig zu machen.
Tatsächlich hält sie aber einer kritischen Prüfung kaum stand. So übersteigt es jede
Vorstellungskraft, dass es einer geringen Anzahl primitiv bewaffneter altsteinzeitlicher Jäger gelungen sein
soll, die auf den kontinentalen Mammutsteppen grasenden, riesigen Herden eiszeitlicher Großsäuger
bis hin zum letzten Exemplar auszurotten.
Als Anhaltspunkt für die Größe solcher Herden kann eine Vorratsberechnung russischer Elfenbeinexporteure
dienen [Kahlke 1994]. Nach dieser Schätzung sollen in den Dauerfrostböden der sibirischen Tieflandzonen immer
noch über 700.000 Tonnen Mammutelfenbein liegen – und zwar trotz jahrhunderterlanger Ausbeutung. Darüber hinaus
wurden weder ausreichend Schlachtplätze noch im nennenswerten Umfang Spuren von Jagdwaffen auf fossilen Knochen
ausgestorbener Großsäuger gefunden. Die Hypothese kann sich daher nur auf radiometrisch ermittelte geochronologische
Koinzidenzen bei den Einwanderungs- und Aussterbevorgängen stützen. Das ist sehr wenig. Und wenn man dann
berücksichtigt, dass radiometrische Daten, wie sich immer öfter zeigt, leicht manipulierbar und auch sonst wenig
zuverlässig sind, verliert die Geschichte vom steinzeitlichen Massenmord vollends an Überzeugungskraft. Dass die
Hypothese trotzdem immer wieder aufgegriffen wird, ist daher kein Indiz für die Stärke ihrer Aussagekraft, sondern
zeigt nur, dass sie allzu gut in das pessimistische Bild vom Umgang des Menschen mit der Natur passt.
Den ›Vogel‹ hat bei dieser Geschichte vor wenigen Jahren eine Forschergruppe um den amerikanischen Geologen
Gifford Miller abgeschossen. Miller und Mitarbeiter sind davon überzeugt, dem wohl ältesten ›Umweltfrevel‹ der
Menschheitsgeschichte auf der Spur zu sein. Die Wissenschaftler hatten das massenhafte Aussterben des straußenähnlichen
Riesenvogels Genyornis newtoni in Australien vor rund 50.000 Jahren untersucht. Sie sind dabei zu dem erstaunlichen
Ergebnis gekommen, dass das Massensterben durch ein großflächiges Abbrennen der Steppe durch die erst ›kurz‹ zuvor in
Australien eingewanderten Menschen verursacht worden ist. Millers einziger Beleg sind radiometrisch datierte Eierschalen,
die zeigen sollen, dass der flugunfähige Riesenvogel etwa zur gleichen Zeit ausgestorben ist, als der anatomisch moderne
Mensch in Australien einwanderte.
Abgesehen von der zweifelhaften Vertrauenswürdigkeit der radiometrischen Daten ist die Vorstellung, dass Ereignisse,
die zur gleichen Zeit passieren, auch ursächlich zusammenhängen, zunächst einmal nur ein Indiz für eine kleinkindliche
Perspektive. Von einem Wissenschaftler, der sich solcher Denkmuster bewusst ist, hätte man daher erwartet, dass er weitere
Belege, wie z. B. Brandspuren zur Untermauerung seiner These vorlegt. Kann Miller aber nicht! Und er braucht es auch nicht,
denn seine Geschichte vom steinzeitlichen Riesenvogelmord passte so gut in das mächtige Bild vom negativen Umgang des
Menschen mit der Natur, dass die führende amerikanische Wissenschaftszeitschrift Science diesen ›Quatsch‹ sogar in der
Ausgabe vom 08.01.1999 zur Titelgeschichte machte.
Einmal mehr zeigt sich, dass man mit schlechter Wissenschaft sehr erfolgreich sein kann, wenn sie nur sorgfältig genug
in zeitgeistige Denkfiguren verpackt wird. Doch damit nicht genug, Miller hatte sich laut FAZ vom 13. 01.1999 bereits
einige Monate zuvor auf einem Kongress mit einer noch hanebücheneren These zu Wort gemeldet. Und zwar hätten die frühen
Aborigines mit ihrer vogelverachtenden »Zündelei« auch noch das australische Klima verändert und die Ausbreitung der
Wüsten im Landesinnern verursacht. Miller ist daher davon überzeugt, nicht nur dem ältesten, sondern dem womöglich
größten »Umweltfrevel« der Menschheitsgeschichte auf der Spur zu sein. In Anlehnung an Wittgenstein kann man hier nur
kommentieren: Ein Bild hält ihn gefangen und verführt ihn zu immer phantastischeren Verunglimpfungen des Menschgeschlechts.
Literatur
Kahlke, R.-D. (1994): Die Entstehungs,- Entwicklungs- und Verbreitungsgeschichte des oberpleistozänen
Mammuthus-Coelodonta-Faunenkomplexes in Eurasien (Großsäuger). – In: Abh. senckenb. naturforsch. Ges. 546, – Frankfurt/M., 1-164
Miller, G. H. et al. (1999): Pleistocene extinction of Genyornis newtoni: human impact on Australian megafauna. – In: Science 283, 205-208
G.M., 15.12.04