Auf Existenz einer »Biosphäre der heißen Tiefe« bin ich erstmals durch den Spiegel-Artikel »Verlorene Welten« (43/1995)
aufmerksam geworden. In dem Beitrag wurde berichtet, dass sich mindestens 10 % der irdischen Biomasse
in Tiefenschichten der Erde und zwar unter ausgesprochen lebensfeindlichen Bedingungen in Öl- und Methangasvorkommen
sowie in Ozeansedimenten befindet. Allein in den letzten Jahren haben Mikrobiologen schon zwischen 10.0000 und 15.000
neue Arten im »Keller der Erde« entdeckt - und ein Ende ist nicht abzusehen. Zwischenzeitlich schätzt man, dass die
gesamte Menge der unterirdischen Lebensformen, die oberirdische locker erreicht und vielleicht sogar übertrifft.
Von einem Thomas Gold und seinen faszinierenden Theorien war in diesem Artikel allerdings nicht die Rede und so
habe ich den Artikel auch nur aufbewahrt, weil er mir als Argumentationshilfe bei Auseinandersetzungen mit Naturschützern nützlich erschien.
Die »verlorenen Wel¬ten« waren ein kurioser Beleg dafür, dass der Naturschutz keineswegs dem gesamten irdischen Leben
seine Aufmerksamkeit schenkt, sondern einen spektakulären Anteil des Lebens bisher nicht wahrgenommen, geschweige
denn seine Zuneigung geschenkt hat.
Dass den »verlorenen Welten« tief unter der Erdoberfläche eine weitreichendere Bedeutung zukommt, wurde mir erst
bewusst, als ich auf das Buch »Biosphäre der heißen Tiefe« von Thomas Gold (1920-2004) aufmerksam wurde. Schon nach der ersten flüchtigen
Lektüre des Buches war mir klar, dass es sich bei den Lebewesen der Tiefe um bedeutend mehr als eine kuriose
Randerscheinung des uns vertrauten irdischen Oberflächenlebens handelt. Und so formuliert Thomas Gold schon in
seinem knappen Vorwort den Wunsch, der Leser möge begreifen, dass es genau umgekehrt ist: Wir an der Erdoberfläche
sind es, die unter extremen Umweltbedingungen leben, während das Leben tief unter unseren Füßen nicht nur das
ursprünglichere ist, sondern in gewisser Hinsicht sogar über die komfortableren Umweltbedingungen verfügt, da
es u. a. nicht so schutzlos dem Beschuss durch kosmische Boliden ausgeliefert ist. Nach Golds Vermutung könnten
wenigstens zehn Planeten und Monde unterirdisches Leben beherbergen, und Leben
im Untergrund ist vielleicht nichts Ungewöhnliches im Universum. Und auf diese unterirdische Biosphäre, die
bisher keineswegs nur vom Naturschutz, sondern auch von den Schulwissenschaften wenig beachtet wurde, möchte
Thomas Gold seine Leser neugierig machen.
Gold gelingt es in seinem Buch mit nur wenigen zusätzlichen hypothetischen Grundannahmen, die Existenz von
umfangreichen Leben in der Tiefen der Erdkruste zu erklären. Darüber hinaus kann er auch für viele andere,
von der erdgeschichtlichen Forschung bisher nur wenig befriedigend gelöste Probleme überraschend plausible
Lösungen anbieten – und zwar von der Entstehung von Gas-, Öl-, Kohle- oder Erzvorkommen über die Ursache von
Erdbeben bis hin zur Entwicklung des Lebens auf unserem oder gar anderen Planeten. Golds zentrale von der
Schulwissenschaft abweichende Grundannahme lautet: Kohlenwasserstoffe gehören zum Urmaterial der Erde, d. h.
sie waren bereits ein Bestandteil des Staubes, aus dem sich vor Urzeiten die Erde gebildet hat. Kohlenwasserstoffe
sollen daher nach Gold in großen Massen im porösen Gestein des Erdmantels vorkommen und bei den dort herrschenden
hohen Drücken und hohen Temperaturen stabile Moleküle bilden. Aus den Tiefen der Erdkruste strömen diese
Kohlenwasserstoffe dem abnehmenden Dichtegradienten folgend über Gesteinsporen in Richtung
Erdoberfläche. Sie sind damit die direkte Quelle für Gas- oder Ölfelder und indirekt über Aufquell- und
Auswaschungsvorgänge auch wesentlich an der Entstehung von Kohlevorkommen oder Erzlagern beteiligt. Aufsteigende
Gase sind nach Gold auch die Hauptursache für Erdbeben.
Gold befindet sich mit seiner Hypothese vom abiogenetischen Ursprung der sogenannten ›fossilen‹ Brennstoffe im
krassen Widerspruch zur schulwissenschaftlichen Forschung, die von einem biogenetischen Ursprung dieser
Energieträger ausgeht. So wird z. B. der abiogenetischen Theorie für die Entstehung von Erdöl üblicherweise
entgegengehalten, dass dieser Energieträger nachweislich auch Moleküle und Zellbestandteile organischer
Herkunft enthält. Dies wird von Gold nicht bestritten, sondern nur anders gedeutet. Nach seiner Auffassung stammen die
biologischen Spuren im Erdöl nämlich von Mikroben, die ihren Lebensraum in den oberen Schichten der Erdkruste im Strom
der aufsteigenden Kohlenwasserstoffe haben. Diese druckresistenten thermophilen oder hyperthermophilen Mikroben können
vermutlich Temperaturen von bis zu 150 Grad aushalten. Man kennt sie aus heißen Quellen oder aus dem Umfeld von
Tiefseevulkanen (›Black- and White Smoker‹). Die heißen Tiefseevulkane sind jedoch nicht der ursprüngliche Lebensbereich
der Biosphäre der heißen Tiefe. Der eigentliche Lebensbereich sind die Poren und Spalten in der oberen Erdkruste bis
zu einer Tiefe von vielleicht maximal 10 km. Noch tiefer wird es auch für hyperthermophile Bakterien zu heiß.
Die Energiequelle für das Leben in der heißen Tiefe sind Kohlenwasserstoffverbindungen wie Methan oder Äthan.
Diese organischen Molekülverbindungen werden von den Mikroben oxidiert, wobei Energie freigesetzt wird. Der
für die Oxidation notwendige Sauerstoff kann dabei – wenn kein freier Sauerstoff in den Gesteinsporen vorhanden
ist – auch aus hochoxidierten Eisen- und Schwefelverbindungen gewonnen werden. Die Oxidation von Kohlenwasserstoffen
ist im Unterschied zur Photosynthese, für die das Sonnenlicht als Energiequelle notwendig ist, eine sehr
primitive Form, um Energie für Lebensvorgänge verfügbar zu machen. Hierauf baut eine der interessantesten Thesen von Gold auf:
Die These besagt, dass die Erdoberfläche für die Primärprozesse, die für Entstehung des Lebens erforderlich sind,
kein optimaler Standort war. Mit anderen Worten: Die warmtemperierte ›Ursuppe‹ oder Uratmosphäre (oder gar Darwins
Idee von einem warmen Tümpel!) ist nicht das geeignete chemische Milieu, um die Entstehung komplexer Moleküle aus
einfachen Molekülen zu ermöglichen. Auch die Photosynthese, d. h. die Umwandlung von Lichtenergie in chemische
Energie ist so komplex und kompliziert, dass sie unmöglich als Ausgangspunkt für die Entstehung
von Leben gedient haben kann. Demgegenüber herrscht in den Tiefen der Erdkruste bei hohen Temperaturen und
Drücken sowie gleichmäßigem Zustrom von Kohlenwasserstoffen ein chemisches Milieu, das viel eher in der Lage
ist zur Eigenkatalyse fähige, d. h. komplexe sich selbst kopierende Moleküle und darauf aufbauend einfachste
Lebensformen zu erzeugen. Golds These kann sich auf neuere wissenschaftliche Forschungsergebnisse stützen.
Zum Beispiel hat sich zwischenzeitlich bestätigt, dass hyperthermophile Lebensformen (Archaebakterien), diejenigen
sind, deren Wurzeln am weitesten zurückreichen also die ältesten sind.
Auf seiner Theorie von der Entstehung des Lebens aufbauend, entwickelt Gold auch noch eine alternative
Evolutionstheorie. Er vertritt die Auffassung, dass die neodarwinistischen Zufallsmutationen schon aus
Gründen der Wahrscheinlichkeit allenfalls bei Mikroben mit hohen Fortpflanzungsraten und gewaltigen
Individuenzahlen günstige Veränderungen bewirken können. Demgegenüber treten bei größeren Lebewesen positive
Veränderungen viel zu langsam auf. In Überstimmung mit einigen anderen Evolutionsforschern (wie z. B. Lynn Margulis) vertritt
Gold daher die Auffassung, dass alle wesentlichen Neuerungen bezüglich des Stoffwechsels von Lebenswesen
nur im Lebensbereich der Mikroben erzielt worden sein können. Komplexere und höherentwickelte Lebensformen
sind nach dieser Theorie dadurch entstanden, dass Mikroben mit unterschiedlichen Eigenschaften eine Symbiose
eingegangen sind (Endosymbiontentheorie). Der Motor dieses evolutiven Prozesses ist nach Gold die Biosphäre
der heißen Tiefe, weil hier der ursprünglichste und umfangreichste Lebensbereich für Mikroben existiert. Und daher
ist nach Gold auch nicht ausgeschlossen, dass von dort noch weitere Neuerungen zu uns unterwegs sind. Hier
begibt sich Gold auf das weite Feld der Spekulationen. Allerdings zähle ich seine Spekulationen zu den
naturwissenschaftlich interessantesten und fundiertesten, die ich in den letzten Jahren zum Thema Evolution gelesen habe.
Natürlich werfen seine Antworten auch neue Fragen auf, die mir aber allesamt fruchtbarer erscheinen als die
winzigen Problemstellungen, mit denen sich das große Heer scholastischer Naturgeschichtler und Evolutionsbiologen
in mühsamer Kleinstarbeit ohne jeglichen philosophischen Weitblick und wesentlichen Fortschritt herumschlägt.
Golds nur knapp 250 Seiten umfassendes Buch hat mich in der Originalität und Eleganz seiner Fragestellungen und
Lösungsstrategien an Immanuel Velikovskys »Welten im Zusammenstoß« erinnert. Gold besitzt wie Velikovsky die Fähigkeit
scheinbar unvereinbare Aspekte eines Problems zu assoziieren und seine Auffassungen so darzustellen, dass jeder
seine Theorien auch ohne große naturwissenschaftliche Vorbildung verstehen kann. Dies irritiert manchmal, denn von
den Forschungsergebnissen der scholastischen Wissenschaftler sind wir gewohnt, dass deren Lösungen wissenschaftlicher
Probleme meistens sehr kompliziert, unverständlich und eben selten wie bei Velikovsky oder Gold von einer
allgemeinverständlichen Plausibilität sind.
Doch es gibt auch Unterschiede zwischen den beiden großen Außenseitern: So schreibt Gold zwar auch fesselnd aber
eben doch nüchterner und weniger wortgewaltig als Velikovsky. Dies liegt wohl daran, dass Gold im Unterschied zum
Psychiater Velikovsky habilitierter Astronom mit ausgeprägt ingenieurmäßigen Interessen ist, z. B. hat er den Bau
des noch größten Radio-Observatorium der Welt in Arecibo verantwortlich geleitet. Darüber hinaus hat sich Gold
zunächst in der wissenschaftlichen Gemeinde (und auch der Energieindustrie) einen Namen gemacht. Ende der 1940er Jahre
nahm er an einem britischen Programm zur Erforschung und Anwendung der Radartechnik teil. Dadurch erhielt er ein tieferes
Verständnis über die kosmophysikalischen Zusammenhänge. 1956 erhielt er einen Ruf an die Harvard University. Den
Schulwissenschaftlern wird es daher erheblich schwerer fallen, seine bahnbrechenden Thesen wie im Falle des
Chronologiekritikers Velikovsky zu ignorieren, tabuisieren oder lächerlich zu machen.
Zeitlebens galt der extrovertierte Gold als »Ideenmaschine«, der es liebte konventionelle Auffassungen in
Frage zu stellen und in völlig neuer Weise zu betrachten. Gleichwohl war für ihn die Überwindung bisheriger
Lehrmeinungen kein Selbstzweck, sondern nur eine selbstverständliche Einstellung für den
Erkenntnisfortschritt: »Es ist wie bei der Religion« meinte er, »Häresie wird als etwas Schlechtes angesehen,
dabei sollte sie gerade das Gegenteil sein«. Z. B. postulierte 1968, dass die neu entdeckten Pulsare rotierende
Neutronensterne sind. Eine Fachkonferenz lehnte den entsprechenden Vortrag als so absurd ab, dass man ihn nicht
einmal diskutierte: »Shortly after the discovery of pulsars I wished to present an interpretation of what pulsars
were, at this first pulsar conference: namely that they were rotating neutron stars. The chief
organiser of this conference said to me, ›Tommy, if i allow for that crazy interpretation, there is
no limit to what I would have to allow‹. I was not allowed five minutes floor time, although I in fact spoke
from the floor. A few months later, this same organiser started a paper with the sentence, ›It is now
gennerally considered that pulsares are rotating neutron stars‹.«
Link zu:Wikipedia - Thomas Gold